Christopher Ecker

geb.  28. Oktober 1967 in Dudweiler (heute: Saarbrücken)

Portraitfoto

Foto:Privat

Christopher Ecker ist ein im doppelten Sinn phantastischer Erzähler, dessen biografische und literarische Anfänge im Saarland liegen.

Ecker ist Sohn des Dudweiler Notars Harald Ecker, der als Weinschriftsteller („Bordeaux – Weine & Chȃteaux“) internationales Ansehen genießt und im Alter auch Erzählungen und einen Roman veröffentlicht hat. Der Sohn studiert Germanistik und Philosophie in Saarbrücken und Kiel. Neben seiner Arbeit als Schriftsteller, Übersetzer und Literaturkritiker unterrichtet Christopher Ecker seit 2006 Deutsch und Philosophie an einem Gymnasium in der Nähe von Kiel.

Chistopher Eckers Talent wird früh erkannt – regional. Er wird 1993 mit dem Saarbrücker Förderpreis ausgezeichnet, danach kann er seine ersten Bücher in kleinen saarländischen Verlagen veröffentlichen. 2007 findet er seine literarische Heimat beim mittelgroßen Mitteldeutschen Verlag in Halle und wird überregional beachtet. Sein bisher erfolgreichstes Buch ist der über 1.000 Seiten starke Roman „Fahlmann“ (2012). Mit dem von der Kritik überschwänglich gelobten Buch und dem Friedrich-Hebbel-Preis 2015 ist Christopher Ecker „in der ersten Liga der zeitgenössischen deutschen Literatur“ (Laudatio) angekommen. 2018 erhält Ecker den Kunstpreis des Saarlandes, die höchste künstlerische Auszeichnung des Landes.

„Christopher Eckers Romane verbinden Fantastik und Philosophie, trivialen Spaß und hochgeistigen Tiefsinn. […] Er ist einer der wenigen deutschen Autoren, die wirklich zeitgemäß sind, er hat den altbackenen Realismus abgeschüttelt und denkt die oft harmlose Gegenwartsliteratur neu.“ (Joshua Groß in den „Nürnberger Nachrichten“)

Ecker ist kein hauptberuflicher Schriftsteller, er arbeitet als Lehrer und ist deshalb in seiner Existenz nicht abhängig von den Gesetzen des literarischen Marktes. Erstaunlich, wie er den Lehrerberuf mit seiner enormen literarischen Produktivität verbinden kann. Dass er den Beruf nicht mit der linken Hand ausübt, zeigt der Deutsche Lehrerpreis, mit dem Schüler ihre Lehrer für sein besonderes pädagogisches Engagement auszeichnen.

„Dieses Buch ist eine Zumutung“

Christopher Ecker verfolgt ein spezielles Konzept von Literatur, das sich nicht nach den Konventionen des vermeintlich realistischen Erzählens richtet und mit Elementen des Phantastischen arbeitet. Bei ihm wird nicht die Außenwelt verinnerlicht, sondern, umgekehrt, „das Innerliche, Innerste, als ein Objektives in die Welt zurückgehoben. Deshalb zeigt sich die Kraft der speziell eckerschen Ästhetik genau dort, wo er profanste Alltagsrealitäten als dunkle Spiegelbilder eines aus sich selbst Ausgegrabenen, bzw. noch zu Hebenden zeigt.“ (Alban Nikolai Herbst, Laudatio zum Hebbel-Preis). In „Fahlmann“ heißt es (S. 198): „Anfang Juni erwachte der Held meines Romans unter den beharrlich zuschlagenden Typen der Schreibmaschine zum Leben. Sogleich tat er nicht mehr alles, was ihm das luftige Gedankenexposé befahl, und nahm sich sogar die Freiheit heraus, Gastspiele in meinen Träumen zu geben, was ich als ein gutes Zeichen dafür wertete, dass mir sein Charakter gelang.“

Bei seinem Roman “Мadonna” hat Ecker eine Nachbemerkung für nötig gehalten, in der er schreibt: “Dieses Buch ist eine Zumutung.” Denn er hat es gewagt, aus der Perspektive des Täters über einen Mann zu schreiben, der in einem Moment der Unachtsamkeit mit seinem Auto eine Schülerin überfährt, in einer Kurzschlusshandlung die Leiche in den Kofferrraum lädt und dann auf Wege sinnt, sich ihrer zu entledigen. Dabei gerät er in tiefe psychische Abgründe. Eckers Begründung für die Ich-Perspektive: “Jede vom Verfasser des Romans explizit vorgenommene Bewertung würde die intensive Auseinandersetzung mit dem Menschen- und Weltbild derartiger Täter und den daraus resultierenden Rechtfertigungs- und Selbsttäuschungsstrategien einschränken.” Allerdings dreht sich der zweite Teil des Romans mehr um poetologische Probleme (siehe die Darlegungen von Ole Petras), so dass man den Verdacht nicht los wird, auch Eckers Nachbemerkung sei noch Teil des Spiels mit dem Leser.

Ecker recherchiert sehr sorgfältig, reist, wenn möglich, zu den Schauplätzen seiner Geschichten, denn – so sagte er jedenfalls noch 1996 der „Saarbrücker Zeitung“, „die guten Sachen fallen mir meistens vor Ort ein“. 2012, schon in Kiel lebend, überrascht er die Jury des Saarbrücker Hans Bernhard Schiff-Literaturpreises mit Mundartgedichten über den Tod („es lähwe nohm dood is wies lähwe vorm dood“) – und bekommt einen Sonderpreis.

Der Autor behauptet, dass fast alle seine Bücher „unverkennbar“ in Saarbrücken spielen. Tatsächlich hat Ecker beim Schreiben offenbar, für den Leser nur an Details erkennbar, den Stadtplan von Saarbrücken im Kopf. So kann der Ortskundige beim „Verlorenen O“ – trotz ansonsten nur aus dem Monopoly-Spiel bekannter Schlossallee und Parkstraße –  den Eingang zur Saarbrücker Uni-Bibliothek, die Kneipe „Vier Jahreszeiten“ in der Dudweiler Straße und die Kneipe „Parkdeck“ am Rathaus identifizieren. Bei „Madonna“ (der Ich-Erzähler ist Literaturredakteur) schöpft er ganz allgemein aus seinen Erfahrungen im Zeitungsmilieu, die er seinerzeit als Mitarbeiter beim Kulturteil der „Saarbrücker Zeitung“ gemacht hat. Dass im „Fahlmann“-Roman (Ecker: „eigentlich mein großer Saarlandroman“) eine der Figuren Raucher der Zigarettenmarke „Lasso“ ist, deutet aufs Saarland der 1950er Jahre hin, und Mundart wird auch gesprochen („awwerdu haschdjohheudgeburdsdah“), außerdem hat Ecker viele Beobachtungen aus dem lokalen Kneipen-, Schriftsteller- und Handwerkermilieu verarbeitet.

In dem 2017 erschienenen Band „Andere Häfen“ spielen zwei Erzählungen im Saarland, eine um die Schlangenhöhle in Schwarzenacker und eine am Brennenden Berg.

Mit „Käpten Eichhörnchen und die Zaubertür“ hat Ecker zum ersten Mal ein Buch für Kinder vorgelegt. Und Anfang 2018 tritt er als Übersetzer hervor, und zwar von Gedichten des amerikanischen Poeten Tom Disch. Ecker hat sich kurz vor dessen Selbstmord 2008 mit Disch angefreundet. Disch, zunächst bekannt geworden als Science-Fiction-Autor, hat auch zahlreiche Lyrikbände veröffentlicht und seine Gedichte zuletzt in seinem Internetblog „Endzone“ publiziert; Eckers Auswahl und Übersetzung stellt ihre erste Veröffentlichung in Buchform dar. Den Gedichtübersetzungen angefügt ist ein 50seitiger Essay über Disches lebensphilosophische Lyrik, der sich stellenweise auch als poetische Selbstbestimmung Eckers lesen lässt. Er hat als 13jähriger zum ersten Mal eine Erzählung von Disch, gelesen: „Uns so wurde er zu einem Autor, der mein eigenes Schreiben nachhaltig beeinflusst hat.“

Im selben Jahr veröffentlicht Ecker einen weiteren Band mit eigener Lyrik. Unter dem Titel „Schach dem Vollmond“ versammelt er rund 200 Gedichte die in völlig unangestrengtem Sprachduktus (mit „äh“ und „ähm“) von der Sprachkritik über die Veralberung hoher Lyrik und ihre Durchnahme im Schulunterricht bis zum schieren Nonsens reichen – so als hätte er sie, wie er mehrfach insinuiert, tatsächlich nach starkem Weingenuss nachts auf dem Balkon geschrieben. Die Verwendung saarländischen (genauer: rheinfränkischen) Dialekts in einigen Texten ist dabei weniger ein Indiz für Heimwehgefühle des im fernen Norden lebenden Autors, sondern stellt neben den Fällen frei erfundener Wörter ein weiteres Beispiel dafür dar, wie fremd die deutsche Sprache doch klingen kann: „um ähn uhr / wird de schinge / uff die schdrohß gelehd // unn wemmer keh schinge hann / werd hald e worschd / uff die schdrohß gelehd“.

In seiner Dankesrede zur Verleihung des Saarländischen Kunstpreises am 28. Oktober 2018 in Saarbrücken erläutert Ecker sein Verhältnis zum Saarland. Die drei Bücher, die er schreibt, als er noch hier lebt („Sulewskis Tag“, „Das verlorene O“, „Die leuchtende Reuse“) spielen im Saarland. Dazu der Autor: „Den Grund, dass ich damals im Saarland lebte, kann man nur zum Teil gelten lassen. Vielmehr ist es so, dass meine Literatur, die viele der Gattung ‚Phantastik‘ zuordnen, einer gewissen Bodenhaftung bedarf, damit sie, um es salopp zu sagen, funktioniert; meine Texte benötigen also einen engen Realitätsbezug, der mir am besten glückt, wenn ich den mich umgebenden Alltag scharf beobachte und versuche, ihn sprachlich scharf gegriffen in meine Bücher aufzunehmen.“

Zu seiner Zeit im Saarland schreibt Ecker zwei weitere Romane, in denen das Saarland allgegenwärtig ist, „Fahlmann“ und „Madonna“. Ecker: „In ‚Madonna‘ stellt das Saarland wieder einmal die Kulisse, doch im ‚Fahlmann‘ dringe ich tiefer vor, stoße sozusagen die Kulissen um und suche das Eigentliche. Den ‚Fahlmann‘ sehe ich daher als meinen, um es pathetisch zu sagen, Saarlandroman, wobei hierbei erwähnt werden muss, dass ich dieses Buch in Kiel entscheidend überarbeitete, und aus der räumlichen Distanz vieles noch präziser greifen konnte, was einem im Alltag, der einen einlullend umgibt, entgeht.“

2021 veröffentlicht Ecker den Roman „Herr Oluf in Hunsum“ um einen Wissenschaftler, der sich auf den Weg zu einem Kongress in Hunsum macht, während zu Hause Frau und Kind krank darniederliegen. Erster Satz des Romans: „Du hättest nicht fahren dürfen!“ So wie der Landarzt in Kafkas gleichnamiger Erzählung, die mit dem Satz endet: „Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt – es ist niemals gutzumachen“ – so verstrickt sich Eckers Herr Oluf im Unheil, das am Ende die Dimension eines Kriminalromans annimmt. Dabei arbeitet der Autor mit Realitätsverschiebungen, von denen die Verwandlung von Husum in Hunsum noch die harmloseste ist. Er entfaltet eine unterschwellige Komik, die, verbunden mit der spannenden Handlung und einer Fülle assoziationsreicher Formulierungen, die Lektüre zu einem Vergnügen macht.

Wenn Christopher Ecker 2023 den Märchenton anschlägt, sich vertraulich an die lieben Leser wendet und seine Geschichten vom Kieler Kinderbuchillustrator Jens Rassmus mit putzigen Strichzeichnungen illustrieren lässt, darf man nicht glauben, dass es sich wirklich um ein Kinderbuch handelt. In der Titelstory „Die beste Hummelgeschichte der Welt“ erkennen die drei Hummelriche Professor Bombus Bssbll, Doktor Summsumm Schmidt und Pollus Blumenfreund, dass die Hummelliteratur in der Krise ist, und machen sich auf den Weg, die beste Hummelgeschichte der Welt zu finden – und eben das ist die beste Hummelgeschichte. Und so geht es bei allen 13 längeren oder kürzeren Geschichten dieses Bandes letzten Endes um die Literatur selber und ihr Verhältnis zur Wirklichkeit, so wie Christopher Ecker es sieht.

Ein Zeichen für die wachsende Anerkennung des Autors ist das 2021 herausgegebene wissenschaftliche „Arbeitsbuch Christopher Ecker“ (Verlag Peter Lang). Der 200 Seiten starke Band möchte „eine erste Bilanz ziehen, Werkaspekte aufzeigen und den Zugang zu den Büchern des Autors gleichermaßen erleichtern wie vertiefen“. Die Aufsätze der Literaturwissenschaftler behandeln Eckers Beziehung zur Phantastik und zur Science Fiction. Ansonsten enthält der Band bisher verstreut veröffentlichte Originaltexte von Christopher Ecker, nämlich ein zuerst im Saarbrücker „Streckenläufer“ veröffentlichtes Prosastück, hier „erstmals in intendierter Fassung“, eine Rede, Rezensionen (alle ursprünglich für den SR) und Interviews. Im Anhang eine vollständige Bibliografie. (RP)