Literaturlandschaft Luxemburg

skyline Luxmeburg

Von Susanne Jaspers

Literatur aus Luxemburg? C’est quoi ça ? Gibt es sowas überhaupt? Das sind durchaus übliche Reaktionen, wenn man in Trier oder Saarbrücken, Arlon oder Metz nach Kenntnissen über die literarische Landschaft des Großherzogtums fragt. Bereits in den Nachbarregionen direkt jenseits der Grenzen ist das Luxemburger Buch nahezu unbekannt. Ganz zu schweigen von entfernteren Gefilden. Noch …

Das liegt natürlich einerseits an den relativ kleinen geografischen Ausmaßen des Großherzogtums, das deshalb nicht nur in literarischer Hinsicht auf der europäischen Landkarte gerne mal vergessen wird. Zum anderen hat es mit der berühmt-berüchtigten Dreisprachigkeit Luxemburgs zu tun, von der der Schriftsteller Georges Hausemer einmal behauptete, eigentlich handele es sich um „Nullsprachigkeit“, da kein Luxemburger eins der drei gängigen Idiome wirklich bis zur Perfektion beherrsche.

Die Dreisprachigkeit führt mitunter dazu, dass die deutschsprachigen Nachbarn der festen Überzeugung sind, in Luxemburg würde Französisch gesprochen, während die französischsprachigen voisins die Luxemburger häufig für deutschsprachig halten. So werden die Luxemburger logischerweise regelmäßig übergangen, wenn es um literarische Veranstaltungen im deutsch- oder französischsprachigen Raum geht, weil die Organisatoren die in der jeweiligen Sprache schreibenden luxemburgischen Schriftsteller einfach nicht auf der Rechnung haben. Und von einem exotischen moselfränkischen Dialekt namens Lëtzebuergesch haben ohnehin die wenigsten je gehört.

Ist ja auch ein bisschen kompliziert, die Sache mit den drei Sprachen. Zumal sich Luxemburger Autoren zu allem Überfluss zunehmend des Englischen zu bedienen beginnen. Mit Black Fountain Press wurde 2017 sogar der erste rein englischsprachige Luxemburger Verlag gegründet. Und es dürfte nicht mehr allzu lange dauern, bis die über 16 Prozent Portugiesen in der Bevölkerung auf die Idee kommen, etwas in ihrer Muttersprache zu Papier zu bringen. Ganz davon abgesehen, dass eine jüngere Autorengeneration, wie Jean-Marc Lantz (*1964) in seinem Debütroman „Magnetosaurus Nostalgodon“ (2019), zwischen zwei, oder wie Jeff Schinker (*1985) in seinem postmodernen Erzählband „Sabotage“ (2018) gleich zwischen vier Sprachen wechselt.

Das ganze linguistische Tohuwabohu wird unter der etwas verstaubt klingenden Bezeichnung „Luxemburgensia“ zusammengefasst, was mit sich bringt, dass die einheimische Literatur auch im Ländchen selbst in den Buchläden eher selten unter der deutsch-, englisch- oder französischsprachigen, sondern eben unter diesem Sammelbegriff versammelt ist. Was es fachfremden, potenziell interessierten Lesern wesentlich erschwert, in Berührung mit der nationalen Literatur zu kommen.
Aber was ist diese nationale Literatur eigentlich? Wo kommt sie her und wo strebt sie hin?

Die Anfänge

Das älteste bekannte Luxemburger Schriftstück ist der „Codex Mariendalensis“, die Lebensbeschreibung von Yolanda, Äbtissin des Klosters Marienthal, verfasst um das Jahr 1290 herum von Hermann von Veldenz (ca.1250-1308) – und das in mittelhochdeutsch-moselfränkischer Sprache, womit das Versepos als erster Text auf Lëtzebuergesch gilt.
Danach war allerdings viele Jahrhunderte lang nichts los in Sachen Schreiben in Luxemburg. Als Startpunkt einer Luxemburger Nationalliteratur wird gemeinhin das Erscheinen des Gedichtbands „E’ Schrek ob de’ Lezeburger Parnassus” von Antoine Meyer (1801-1857) im Jahr 1829 gewertet, da Meyer als erster Luxemburger versuchte, sich in seiner Muttersprache auszudrücken. Wenn man zu diesem Zeitpunkt von einer „Nationalliteratur“ überhaupt schon sprechen kann, denn das unabhängige Großherzogtum Luxemburg und somit ein irgendwie geartetes richtiges, echtes „Nationalgefühl“ entstanden erst mit dem Londoner Vertrag von 1839.

Gleich drei Begründer der Literatur auf Lëtzebuergesch

Doch dann starteten die Väter der „Luxemburgensia“ so richtig durch. Allen voran die folgenden drei Herren, die heutzutage als Nationaldichter gewürdigt werden und im Herzen der Luxemburger Innenstadt auf der Place d’Armes und dem Knuedler (Place Guillaume II) als Denkmal verewigt wurden. Da wäre zunächst Michel Rodange (1827-1876), Verfasser des Versdramas und Luxemburger Nationalepos „Renert oder De Fuuß am Frack an a Ma’nsgrëßt. Op en Neis fotografëert vun Engem Letzebreger“ von 1872, eine Goethes „Reineke Fuchs“ nachempfundene Parabel auf die luxemburgische Gesellschaft.

Gemeinsam auf ewig in einem Monument vereint (obwohl sie sich der Überlieferung zufolge zu Lebzeiten nicht ausstehen konnten) sind die beiden anderen Luxemburger Nationaldichter Edmond de la Fontaine, besser bekannt unter seinem Spitznamen „Dicks“ (1823-1891), und Michel Lentz (1820-1893). Ersterer gilt seit der Uraufführung des Stücks „De Scholtschéin“ im hauptstädtischen Cercle-Gebäude 1855 als Vater des Theaters in luxemburgischer Sprache, während Monsieur Lentz u. a. für den Text der Luxemburger Nationalhymne „ Ons Hémecht“ sowie für das 1859 anlässlich der Einweihung der ersten grenzüberschreitenden Eisenbahnlinie geschriebene Lied „De Feierwon“ mit der heute als eine Art nationales Motto geltenden, legendären Zeile „Mer wëlle bleiwe wat mer sin“ (Wir wollen bleiben, was wir sind) verantwortlich zeichnete.

Batty Weber und Nik Welter

Nach dieser ersten Blüte passierte erneut viele Jahre nichts – zumindest nichts in der Literaturgeschichte sonderlich Erwähnenswertes. Es sollte bis Anfang des vergangenen Jahrhunderts dauern, bis wieder luxemburgische Autoren vernehmbar von sich reden machten. Diesmal in deutscher Sprache, und diesmal sogar über die Landesgrenzen hinaus. Genannt seien an dieser Stelle – im wahrsten Wortsinn federführend – Nik(olaus) Welter (1871-1951), der nicht nur in deutscher Sprache, sondern auch im deutschsprachigen Ausland veröffentlichte, und Batty Weber (1860-1940), Namensgeber des wichtigsten Luxemburger Literaturpreises sowie zu Lebzeiten ein unvergleichlich fleißiger Schriftsteller, Journalist und Feuilletonist. Außer durch seine Gedichte, Theaterstücke und Romane, darunter „Fenn Kaß“ (1913), brachte Weber es als Verfasser des von 1913 bis 1940 in fast 7.000 Texten in der „Luxemburger Zeitung“ erschienenen „Abreißkalenders“, Beiträgen zu Personen, Orten und Themen des Zeitgeschehens, zu nationalem Ansehen.

Ungeliebtes Stiefkind

Der bis heute außerhalb der Landesgrenzen wohl berühmteste Luxemburger Autor ist indes einer, von dem viele Luxemburger sich damals (und teilweise heute noch) wünschten, er wäre gar kein Luxemburger gewesen: Norbert Jacques (1880-1954). Wie, kennen Sie nicht? Dann aber sicherlich seine berühmteste Schöpfung Dr. Mabuse. Der Roman „Dr. Mabuse, der Spieler“ von 1921 gelangte durch die Verfilmung von Fritz Lang zu Weltruhm, den er bis heute genießt. In der Heimat dagegen war Jacques, der bereits kurz nach seinem Schulabschluss nach Deutschland gegangen war, wegen seiner Hitler-Verehrung und seines ausgeprägtes Luxemburg-Bashings verfemt. Kein Wunder, bei Sätzen wie „Es ist mir oft, als hätte ich einen Hass, mächtig genug, das ganze verfluchte kleine Land zwischen den Händen zu erwürgen.“

Nach den Kriegen

Nach Welter, Weber und Jacques sollten wiederum Jahrzehnte ins Ländchen gehen, bis neuerliche Bewegung in die luxemburgische Literatur kam. (Nun gut, in der Zwischenzeit hatte das Großherzogtum schließlich auch mit zwei Weltkriegen und zweifacher Besatzung durch die Nachbarn aus dem Osten zu kämpfen.) Doch in den 1950er und 1960er Jahren erheben sich mit einem Mal Stimmen wie die von Anise Koltz (*1929), die als „Grande Dame“ der Luxemburger Literatur gilt, zunächst auf Deutsch veröffentlicht, als Antwort auf den Tod ihres Mannes René, der 1971 an den Spätfolgen von durch die Nazis erlittenen Misshandlungen stirbt, aber in die französische Sprache wechselt. Lex Jacoby (1930-2015) und Jean-Paul Jacobs (1941-2016) sind in diesem Kontext ebenso zu nennen wie Josy Braun (1938-2012), Pol Greisch (*1930) und Cornel Meder (1938-2018).

Der neue Luxemburger Roman

Als Geburtsstunde des modernen oder auch „neuen“ luxemburgischen Romans – und das wohlgemerkt in luxemburgischer Sprache – gilt das Jahr 1985 mit dem Erscheinen von „Hannert dem Atlantik“ von Guy Rewenig (*1947). Diesem folgt Roger Manderscheids (1933-2010) „schacko klak“ im Jahr 1988, der erste Teil einer Trilogie, die zudem die Bände „de papagei um käschtebam“ und „feier a flam“ umfasst. Ein paar Jahre später macht Georges Hausemer (1957-2018) mit etwas Verspätung und seinem Roman „Iwwer Waasser“ (1998) das Trio der literarischen Erneuerer komplett.

Diesen Erneuerern ist gemein, dass sie sich mit der jüngeren Vergangenheit des Landes beschäftigen und/oder sich (sozial)kritisch mit seiner gesellschaftlichen Situation auseinandersetzen Im Reigen der „neuen“ Luxemburger Romane dürfen Nico Helmingers (*1953) „Frascht“ (1990) sowie „Perl oder Pica“ (1998) von Jhemp Hoscheit (*1951) nicht fehlen. Wobei an dieser Stelle angemerkt sei, dass zwei der Werke erfolgreich verfilmt werden: Manderscheids „schacko klak“ 1990 von Frank Hoffmann und Paul Kieffer, „Perl oder Pica“ 2006 von Pol Cruchten.

Das mit der Verfilmung gilt übrigens auch für „Amok“ (2011) von Tullio Forgiarini (*1966), der 2014 unter dem Titel „Baby(a)lone“ von Donato Rotunno auf die Leinwand gebracht und mittlerweile in mehrere Sprachen übersetzt wurde – für einen Luxemburger Roman eine bis dato seltene Erfolgsgeschichte.

Und das Französische?

Auch die französisch schreibenden Autoren werden vernehmbarer. Neben Jean Portante (*1950) mit seinem Roman „Mrs Haroy ou la mémoire de la baleine“ (1993), der die italienische Immigration in Luxemburg thematisiert, vor allem die bereits erwähnte Anise Koltz sowie Lambert Schlechter (*1941), der sich nach anfänglichen deutschsprachigen Veröffentlichungen aufs Französische, vor allem auf dem Gebiet der Lyrik, verlegt.

Die Ferne ruft … oder auch nicht

Norbert Jacques ist nicht der einzige Luxemburger Schriftsteller, der den Sprung ins Ausland wagte. Pierre Joris (*1946), der seit vielen Jahren in den USA lebt und in englischer Sprache publiziert, die seit 1987 in Wien lebende Michèle Thoma (*1951) und Guy Helminger (*1963, übrigens der Bruder von Nico Helminger), der seit 1985 in Köln wohnt und ebenso wie Thoma in deutscher Sprache publiziert, sind nur einige, prominentere und zeitgenössische Beispiele. Die aus Deutschland stammende Schriftstellerin Margret Steckel (*1934) dagegen lebt und schreibt nach Zwischenstationen in Irland und England seit 1983 in Luxemburg.

Und die Zukunft?

In jüngerer Vergangenheit scheint mal wieder Bewegung in die Sache zu kommen. Junge Autoren – und zunehmend auch Autorinnen – wie Samuel Hamen (*1988), Claudine Muno (*1979), Nathalie Ronvaux (*1977), Elise Schmit (*1982) oder Nora Wagener (*1989) veröffentlichen Texte, die nicht nur in der heimischen Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregen, sondern bisweilen auch im Ausland Preise einheimsen. Nach mehreren Jahren schmerzlicher Abwesenheit ist das Großherzogtum seit 2018 wieder mit einem Gemeinschaftsstand auf der Frankfurter Buchmesse vertreten. Weitere Bestrebungen zur Professionalisierung und Internationalisierung des Luxemburger Buchs sollen folgen. Schön wär’s … denn etliche moderne Klassiker und zeitgenössische Werke von Luxemburger Autoren, in erster Linie jene auf Lëtzebuergesch verfassten, harren bislang noch ihrer Entdeckung und Übersetzung – vor allem in „große“ Sprachen.

Susanne Jaspers hat diesen Beitrag im Oktober 2019 für Literaturland geschrieben. Susanne Jaspers wurde 1970 in Aachen geboren und studierte Literaturwissenschaften an der Universität Trier. 2012 gründete sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Georges Hausemer den Verlag capybarabooks, den sie seit dem Tod des Schriftstellers im August 2018 allein leitet. Zu ihren Veröffentlichungen zählen u.a. die Bücher »Luxemburg. Das einzigartigste Großherzogtum der Welt« (zusammen mit Georges Hausemer, 2017) und »Mit Jean-Claude auf der Hühnerstange. Kuriose Orte in Luxemburg« (2018).

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