Waltraud Schiffels

geb. 12. April 1944 in Saarbrücken als Walter Schiffels, gest. 24.02.2021

Foto wie die Autorin an der Schreibmaschine an ihrem Arbeitsplatz sitzt

Waltraud Schiffels am Arbeitsplatz in der VHS, 1990. Foto: Privat

Waltraud Schiffels beschäftigt sich auf der Basis eigener Erfahrungen als Autorin mit dem Thema Transsexualität, sie ist aber auch mit regionalgeschichtlichen Erzählungen hervorgetreten.

Geboren als Sohn eines Ingenieurs und einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie mit eigener Praxis in Saarbrücken. Den Vater, der im Krieg gefallen ist, hat er nie gesehen. Verhältnis zur Mutter problematisch. Von Kindheit an schwer lungenkrank, vermutlich als Folge des schweren Luftangriffs auf Saarbrücken am 5. Oktober 1944. Lange Aufenthalte in Sanatorium im Schwarzwald und bei Pflegefamilie (1946 bis 1950), von der Mutter zeitweise zur Adoption freigegeben. Studium Geschichte, Germanistik, Pädagogik und Philosophie. 1973 Heirat (Scheidung 1987). 1975 Promotion in Germanistik. Assistent am Saarbrücker Germanistik-Lehrstuhl von Gerhard Schmidt-Henkel. In den 1980er Jahren Fachbereichsleiter Kultur bei der Volkshochschule Saarbrücken. Heimliches zweites Leben als Transvestit. 1989 operative Geschlechtsumwandlung, 1990 amtliche Bestätigung des Vornamens Waltraud. Aufgabe der Verwaltungstätigkeit, Lehrtätigkeit an der VHS, Aufbau der Altenarbeit mit Literaturkursen und Gesprächskreisen. Beratungstätigkeit für Transsexuelle. Vorübergehend im Kollektivvorstand der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) im Ortsverein, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Bildung auf Unterbezirksebene und Mitglied im Unterbezirksvorstand, dann Aufgabe der parteipolitischen Betätigung.

Waltraud Schiffels erlangt Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre Prominenz durch die publizistische Begleitung (u.a. Auftritte in Fernseh-Talkshows) ihrer Geschlechtsumwandlung. Auch in eigenen Publikationen thematisiert sie ihre sexuelle Identitätsproblematik.

In dem weitgehend autobiographischen Roman „Im Rock“ sind viele Motive vorweggenommen, die in späteren Veröffentlichungen dann auf nicht-literarische Weise dargestellt werden. Das Buch ist nach Bekunden der Autorin noch zu einer Zeit geschrieben, als sie sich für einen Transvestiten hielt. Sie habe das Buch seinerzeit aus sich „rausgewürgt“. Lange Zeit habe sie große Schwierigkeiten damit gehabt: „Weil ich eben jetzt, nachdem ich auf der Frauenseite lebe, große Mühe hatte, mit diesen Sado-Maso-Zeiten in meinem Leben und mit der Prostitution zurechtzukommen.“ Es ärgere sie ziemlich, wenn der Text ausschließlich auf solche Stellen hin gelesen werde. Das Cover zeigt einen menschlichen Körper mit BH und nacktem Penis. Die Autorin sagt später, die Zeichnung habe zwar dem Inhalt des Buches entsprochen: „Trotzdem war ich völlig konsterniert, als ich auf der Buchmesse ganz unerwartet mit diesem Umschlag konfrontiert wurde.“ (Zitate aus „Ich bin zwei“)

In „Frau werden“ (Untertitel: „Authentischer Bericht einer Transsexuellen“) schreibt Waltraud Schiffels offen über das traumatische Verhältnis zur Mutter, über masochistische Neigungen, Alkoholismus, Tätigkeit als Domina, erlittene Vergewaltigungen, Selbstmordversuch und die schließliche Erlösung durch die mentale und körperliche Hinwendung zum Frausein. Der Bericht ist begleitet von Erklärungsversuchen der eigenen biografischen Entwicklung. – Das im darauffolgenden Jahr erschienene Interview-Buch „Ich bin zwei“ vertieft noch einmal das Nachdenken über die eigene sexuelle Identität.

Das Interesse an regionalgeschichtlichen Themen belegen schon 1980 die Texte zu den „Saarbrücker Skizzen“ des Malers und Zeichners Fritz Ludwig Schmidt (1922-2008). Die regionalhistorischen oder quasi-regionalhistorischen Erzähltexte aus den 1990er Jahren bleiben dann nicht ohne Bezug auf das Thema der Transsexualität. Den vier „unheimlichen Geschichten“ in dem Band „Der Vampyr von St. Johann“ aus dem Jahr 1990 fügt Waltraud Schiffels eine Nachbemerkung an. Ihr zufolge sind die Geschichten „Der Vampyr“ und der „Geisterkrieg“ von einem Mann geschrieben, der „Joker“ von einem Mann, der schon als Frau lebte, und die „Gollenstein-Affaire“ von einer Frau. Dies zu wissen, sei für das Verständnis der Texte notwendig.

Illustrationauf gelben Papier von dem beschriebenen Ort

Illustration der Autorin zu ihrem Buch der Vampyr von St. Johann untere Mainzerstraße in Saarbrücken mit den ehemaligen Gaststätten Horch und Madame

Die Titelerzählung „Der Vampyr von St. Johann“ handelt „im Thomas-Mann’schen Thone“ von einem Anfang des 19. Jahrhunderts durch den Biss einer Frau zu Tode gekommenen St. Johanner Brauer und Wirt, der sich, selber zum Vampir geworden, in der Gegenwart seine Opfer in der Saarbrücker City sucht. Mit der Erzählung „Der Geisterkrieg auf der Daarler Brück“ erinnert Schiffs-Fan Waltraud Schiffels an den über 110 Jahre alten, unter Denkmalschutz stehenden Schaufelradbagger „Atlas“, der zuletzt an der Güdinger Schleuse vor Anker lag. Die Hauptperson in „Der Joker“ gleicht aufs Haar den anderswo gegebenen Selbstbeschreibungen der Autorin als Mann. Nur in der Faschingszeit kann der Kulturamts-Angestellte seiner Lust an der Verkleidung frönen, bis er eines Tages einer Frau im Joker-Kostüm begegnet und beim Abnehmen der Masken feststellt: „Sie war er!“ In der letzten Erzählung des Bandes wird der Gollenstein als eines der Wahrzeichen des Saarlandes umgedeutet als der Phallus eines unter der Erde liegenden Riesen, der, zum Leben erweckt, vor der Saarbrücker Schwulen- und Lesbenar „mylady“ auftaucht.

Der Band „Saarbrücker Hexen“ enthält drei Erzählungen mit lokalhistorischem Hintergrund. In der ersten wird die Stadtsage um die steinerne Fratze in der Saarbrücker Schlossmauer neu erzählt – der so genannte Geizige Bäcker war demzufolge nicht wirklich geizig, sondern hat sein Geld an eine Geliebte verschleudert. Im zweiten Text werden auf schmaler Quellenbasis die letzten Lebensjahre einer Frau namens Jodoka ausgemalt, die im Jahr 1661 in Saarbrücken als Hexe verbrannt wurde. Auch hier wird der Bogen zur sexuellen Identitätsproblematik der Autorin geschlagen: „Jodoka geht mich an. Ich bin eine Frau.“ In „Pygmalia“ schließlich verliebt sich eine Saarbrücker Domina in die Statue der griechischen Sagengestalt Telemach. Es gelingt ihr, den steinernen Mann zum Leben zu erwecken, doch als sie ihn in ihre Wohnung mitnimmt, entpuppt er sich als primitiver Macho, dessen erste Worte lauten in breitem Saarbrücker Platt lauten: „Saa‘ mol, haschd Du e Bieer do, saa‘ äh?“

In den Band „Ich bin zwei“ äußert Waltraud Schiffels die Absicht, künftig verstärkt als Dichterin hervorzutreten. Es sind seitdem allerdings keine weiteren Werke von ihr mehr erschienen. (RP)