Sabine Göttel

geb. 7. März 1961 in Homburg/Saar

SelbstportraitLyrikerin, Dramaturgin, Regisseurin

Geboren in Homburg/Saar, aufgewachsen in dem pfälzischen Dorf Gries, Kreis Kusel (fühlt sich aber als Saarpfälzerin). 1980 Abitur am Staatlichen Mannlich-Gymnasium in Homburg. 1980-81 Studium der Germanistik, Politischen Wissenschaften und Geschichte an der Universität zu Köln. Ab 1981 Studium der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft, Älteren Deutschen Philologie und französischen Philologie an der Universität des Saarlandes. 1989 Magister Artium. 1989-92 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Germanistischen Institut der Saar-Uni, Lehraufträge. 1990-95 zusammen mit Ralf Peter Leiterin des Theaters der Universität des Saarlandes. Teilnahme an Arnfrid Astels Literaturseminar „Selber schreiben und reden“ (sog. Saarbrücker Schule). 1993-95 Promotions-Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung (DGB). 1997 Promotion über die Ingolstädter Autorin Marieluise Fleißer (1901-1974). 1997 als Schauspieldramaturgin ans Theater in Hildesheim, dann Göttingen. Derzeit lebt sie in Hannover und arbeitet als freie Autorin, Dramaturgin, Lektorin und Dozentin für Literatur, u.a. an der Leibniz Universität Hannover und an ihrer 2009 zusammen mit Christina Rohwetter gegründeten „Akademie Literatur&Leben“ (www.literaturundleben.de).

Im Vorwort zu ihrer Dissertation über Marieluise Fleißer schreibt Sabine Göttel 1997: „Im Lauf der Zeit ist aus dem Elan der feministischen Gründerjahre in der Literaturwissenschaft, deren Tochter ich auch bin, ein gangbares Schrittempo geworden. Das erlaubt mehr Übersicht und rückt den formalen Aspekt der Literatur von Frauen wieder deutlicher in den Blickpunkt. Von Marieluise Fleißer habe ich gelernt, mich in kritisch-ironischer Selbstverdächtigung zu üben und das simple Gegenüber von Täter und Opfer zu hinterfragen.“

1987 erscheint als bisher einzige literarische Einzelveröffentlichung der Gedichtband „Fische Fluten“ im St. Ingberter Röhrig Verlag. Es folgen die Erzählungen und Theaterstücke. Sabine Göttel ist mit literarischen und wissenschaftlichen Texten in zahlreichen Anthologien und Zeitschriften vertreten. Derzeit arbeitet sie an einem neuen Band mit Gedichten und experimentiert unter dem Titel „Mythen der Jugend“ erstmals mit satirischen Texten in ihrem Heimatdialekt, der rheinfränkischen Mundart (Saarbrigger Platt), etwa über den Mythos Latzhose.

Die Gedichte in „Fische fluten“ handeln von den Jahreszeiten („Vorfrühling“), von der Familie („Für meine Großmutter“), von Liebe und Liebesverlust („Wie ich dir vergeblich nachfuhr“), spielen auf dem Dorf („Herbst im Dorf“) und im Theater („Inszenierung“). In Abständen zwischen die reimlosen, in einfacher Sprache geschriebenen Gedichte gesetzt sind Blöcke in Prosa in eher rätselhafter Sprache mit teils finster-apokalyptischem Gehalt.

In einem Interview mit Marcella Berger für die pfälzische Literaturzeitschrift „Chaussée“ gibt Sabine Göttel 2003 Auskunft über ihr literarisches Schreiben. Hier taucht noch einmal die Frage nach dem Einfluss von Marieluise Fleißer auf, und Sabine Göttel antwortet: „Was sie mich gelehrt hat: Es ist eine Illusion, die Wurzeln seiner Herkunft und Familiengeschichte gewaltsam kippen zu wollen. Irgendwie bleibt dieser Urschlamm immer kleben und es bleibt dem einzelnen vorbehalten, wie er damit umgeht. Und irgendwie ist das meist ja auch nicht so tragisch, oder? Zu wissen, woher man kommt, kann ja auch eine Vergewisserung und Erdung bedeuten.“

Eine andere Frage gilt der Tatsache, dass Sabine Göttel sich zuletzt verstärkt auf das Schreiben von Prosa und Dramatik statt Lyrik eingelassen habe – ob das Lyrische seinen speziellen Reiz als poetisches Haus von Weltangst und Lebensgier für sie verloren habe? Antwort: „Das Lyrische hat immer noch seinen Platz unter meinem Dach. Aber ich hatte irgendwann das Gefühl, dass mein Leben in den letzten Jahren an Leichtigkeit gewonnen hat. Und ich habe beim Schreiben den Humor und die Ironie entdeckt […] Weltangst und Lebensgier gelten weiterhin, aber sie mir und anderen in einer etwas bunteren, leichteren ‚Verpackung‘ – der fließenden Prosa – anzubieten, schien mir plötzlich eine sehr verlockende und tröstliche Aussicht.“

In der Tat hat Sabine Göttel immer auch Gedichte geschrieben. Aber erst 2020 – im Alter von 59 Jahren, 33 Jahre nach dem ersten Band – legt Sabine Göttel ihren zweiten Gedichtband vor. Mit den Worten des Titelgedichts „Geister“: Um nicht vorzeitig „falsche töne“ zu wagen, hat sie ihr Licht lange „brav unterm mantel verborgen“, um schließlich „so spät zu zünden“.

Mit „Geister“, auch wieder im St. Ingberter Röhrig-Verlag erschienen, zeigt Sabine Göttel ihr ganzes Können als Lyrikerin. Es sind sprachliche Kunstwerke, bei denen kein Wort zu viel ist und keines falsch gesetzt ist. Auch das Buch als Ganzes ist perfekt komponiert. Wie bei jeder echten Lyrik, gibt es hier keine Aussage, die man Zeile für Zeile in Alltagssprache übersetzen könnte. Dabei hat die Autorin den Sinn nie bewusst verrätselt; was sie sagen will, lässt sich nur auf diese Weise sagen. Aber auch da, wo der Sinn sich nicht rational erschließt, entsteht allein aus dem Zusammenklang der Wörter eine unmittelbare Wirkung, ein intuitives Verstehen, dem man sich nicht entziehen kann.

Mit ihren Texten will die Dichterin nicht Alltag überhöhen, sondern im Gegenteil trotz aller Zweifel und nächtlichen Heimsuchungen Boden unter die Füße bekommen: „ein platz zum landen ist mir lieber als ein hoher sinn“. Ein Weg dazu ist, sich der eigenen Vorgeschichte in den Biografien der Großeltern und Eltern zu vergewissern oder quasi archäologisch den Sedimenten der eigenen Kindheit nachzuforschen. Oft fällt das Stichwort „Zweifel“, etwa bezogen auf die Frage der Rückkehrmöglichkeit in die Heimat oder das Selbstverständnis als Autorin. Aber sie bohrt sich mit ihren Gedichten nicht tiefer in ihre Zweifel hinein, sondern gewinnt beim Schreiben zunehmend Mut und festen Boden unter den Füßen. Dieser Prozess der Selbstermutigung macht diese Texte stark. ZITAT

Bemerkenswert, dass gleichberechtigt neben den hochdeutschen Gedichten im 5. und letzten Kapitel auch Gedichte in saarländischer Mundart stehen. Eine Hörprobe mit Bild findet man im Video in der rechten Seitenspalte dieses Beitrags.

2022 wird Sabine Göttel mit dem renommierten Kurt-Sigel-Lyrikpreis ausgezeichnet, der vom PEN-Zentrum Deutschland ausgeschrieben wird.

Sabine Göttels dritter Gedichtband „Im Gefieder“ folgt bereits zwei Jahre nach dem Erscheinen von „Geister“, vier Wochen nach der Verleihung des Kurt-Sigel-Preises; die Veröffentlichung ist schon länger geplant. Der Band kommt auf den Markt, kurz bevor der St. Ingberter Röhrig-Verlag im Sommer 2022 seine Tätigkeit einstellt.

Eine Auswahl aus dem Band „Im Gefieder“ lag der Jury des Kurt-Sigel-Preises vor, auf diese wie auf die anderen Texte trifft zu, was die Jury hervorhebt: „Sabine Göttels Lyrik ist inspiriert von den kleinen Realien des Lebens und zeigt durch immer neue Varianten von Form und Sprache, wie daraus zugleich die große Welt der Poesie erwächst.“

Die Gedichte im neuen Band sind noch dichter als die früheren. Klang, Reim, Rhythmus besitzen eine eigene Qualität und beeindrucken noch vor dem wörtlichen Verständnis. Beim genaueren Lesen zeigt sich die große Dichte dieser Lyrik, bei der kein Wort zu viel ist. Den Mundartgedichten ist ein eigenes Kapitel gewidmet.

Als ein Band der auf 10 Bände angelegten, sorgfältig edierten „Lyrikedition Hannover“ erscheint 2023 im Wehrhahn-Verlag, in dem auch der Saarbrücker Autor Jörg W. Gronius veröffentlicht, „Grillenliebchen“ mit neuen Gedichten von Sabine Göttel. Im Vorwort, das er zu diesem Band beigesteuert hat, schreibt Andreas Platthaus, Redakteur im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“,  über die Lyrikerin, ihre Verse „verfügen über eine sanfte Gewalt, die nicht auftrumpft, sondern anstupst – Berührungslyrik, scheinbar umschmeichelnd, aber unerbittlich“.

Die Gedichte erschließen sich beim ersten Lesen nicht Wort für Wort. Aber der Wortsinn in Verbindung mit den sinnlichen Momenten Klang und Rhythmus beschert ein unmittelbares intuitives Verstehen. Ein durchgehendes Motiv ist, die Selbstbehauptung, der Trotz eines Wesens, das, nur „halb auf festem grund“ stehend,  sein „dünnes fell behalten“ will. Geradezu programmatisch ein Arnfrid Astel gewidmetes Gedicht. Sabine Göttel war einst Teilnehmerin von Astels Schreibkurs an der Saar-Uni, von dem manche behaupten, er sei die Keimzelle einer „Saarbrücker Schule“ der Literatur gewesen (siehe Klaus R. Ecke). Dagegen Sabine Göttel: „noch immer sing ich dir / nicht nach und singe dir nichts vor. / ich bleib in meinen eignen tönen. und / zwitschere ganz munter auch gegen / deinen rat.“

Für eine Auswahl ihrer Gedichte, die dann in „Grillenliebchen“ veröffentlicht werden, erhält Sabine Göttel 2023 den Feldkircher Lyrikpreis (https://feldkircherlyrikpreis.at/) (RP)