Roland Stigulinszky

geb. 29. April 1926 in Saarbrücken, gest. 27. Jan. 2022 ebenda

Roland Stigulinszky ist Werbegrafiker, PR-Berater, Karikaturist und Autor. Auch als Zeitzeuge für die 50er Jahre im Saarland ist er vielgefragt. Als Sohn eines Saarbrücker Heizungsmonteurs mit ungarischem Pass ist Stigulinszky von Geburt Ungar, durch seine Freiwilligenmeldung im Zweiten Weltkrieg wird er deutscher Staatsangehöriger, nach dem Krieg wird er in Johos Saarstaat Saarländer mit rotem Pass (für im Saarland Geborene), nach der Rückgliederung ist er zunächst staatenlos und wird auf Grund eines erfolgreich gestellten Einbürgerungsantrags wieder Deutscher.

Als der Saarbrücker Germanist Günter Scholdt 2006 eine Werkauswahl Stigulinskys vorlegt, rechtfertigt er sich dafür, dass er einen Humoristen wie ihn in die von ihm und Hermann Gätje herausgegebene literarische Edition „Bücherturm“ aufnimmt. Scholdt bricht eine Lanze für die heitere Literatur und attestiert seinem Autor gleichzeitig, dass es ihm nicht an Tiefsinn fehle bzw. an „Passagen, wo der Ton unversehens aus dem (Wort-)Spielerischen ins Ernsthaft-Diagnostische gleitet oder wo ein Besorgter Klartext spricht, der jegliche ironische Verpuppung abgelegt hat“.
Stigulinszkys Lebenslauf, nach seiner eigenen Darstellung in „Vom Hundertsten ins Tausendste“ kurz zusammengefasst: Volksschule (Bismarckschule) und Oberrealschule (Horst-Wessel-Schule) in Saarbrücken, als Heranwachsender Nazi aus Überzeugung, mit 10 im Jungvolk, mit 14 in der Hitlerjugend, will Flieger werden, deshalb mit 16 von zu Hause weg, auf die NPEA (Nationalpolitische Erziehungsanstalt) mit Fliegersonderzug in Köslin in Pommern, schließlich bei der Luftwaffe, aber bis Kriegsende kein Fliegereinsatz. Zwei Jahre Kriegsgefangenschaft in der Ukraine mit Arbeit in Salzbergwerk und Landwirtschaft.

Stigulinszky, Tintenfisch CoverStigulinszky kehrt im Sommer 1947 nach Saarbrücken zurück. In der Ära Johannes Hoffmann betätigt der Autodidakt sich als Gebrauchsgrafiker, seit Herbst 1948, mit 22, ist er Karikaturist bei der satirischen Zeitschrift „Tintenfisch“, die unter den Bedingungen eines autoritären Regimes mit eingeschränkter Pressefreiheit und ausgerechnet im Verlag der regierungsfrommen „Saarbrücker Zeitung“ so etwas wie der saarländische „Simplizissimus“ zu sein versucht. Mit einer Auflage von 30.000 ist das Blatt äußerst erfolgreich, wird aber dreimal verboten, von Innenminister Hector gibt es immer wieder „Ermahnungen“ und „Verwarnungen“, die Mitarbeiter leben in ständiger Angst vor Ausweisung. Im Dezember 1953 wird der „Tintenfisch“ eingestellt, für Stigulinszky ist er mit seiner immergleichen Kritik an der Saar-Regierung „ausgelutscht“. Im Abstand sieht Stigulinszky viele seiner satirischen Attacken auf Johannes Hoffmann kritisch. Beim Referendum 1955 engagiert er sich auf Seiten der Saar-CDU im Lager der Neinsager. In der Ära Brandt entwickelt er dann eher sozial-liberale Neigungen.

Stigulinszky zeichnet die Programmvorschau für TelesaarDie Arbeit für die Zeitschrift ist nur ein Nebenjob, Stigulinszky etabliert sich mit zunehmendem Erfolg in der Werbebranche, große Firmen gehören zu seinen Stammkunden (Saarfürst-Brauerei, EDEKA, Saar Metall, Saar Gummi, V & B, Kreissparkasse Saarlouis). Neben seiner zeichnerischen Begabung und seiner Kreativität kommt ihm auch sein kommunikatives Talent zugute.
Es bleibt nicht beim Wirken hinter den Kulissen: Beim privaten Fernsehsender Telesaar (1953-58) zeichnet Stigulinszky allwöchentlich im Studio die 20minütige Programmvorschau.
Mitte der 50er Jahre trifft Stigulinszky aus landestypischen Motiven die Entscheidung, endgültig im Saarland zu bleiben, da er „lieber einer der zwei, drei Caesaren im Dorf sein wollte, als irgendwo in Rom ein Plebejer unter den vielen“ (Eigenaussage); außerdem und nicht zuletzt eröffnet sich ihm hier die Möglichkeit, ein eigenes Haus zu bauen. Um der Gefahr des Provinzialismus zu entgehen, beginnt er, sich auf Seminaren außerhalb des Saarlandes beruflich fortzubilden. Und weil es ihm wirtschaftlich immer besser geht, engagiert er sich ehrenamtlich in Berufsverbänden, als Präsident des Bundes Deutscher Grafik-Designer und Präsident des Deutschen Designertages e.V.

Stigulinszky Signatur

Den Höhepunkt der Bekanntheit erreicht Roland Stigulinszky, als er von 1962 bis 1967 unter der Signatur „Stig“ etwa jeden zweiten Tag die politische Karikatur für die Seite 2 der „Saarbrücker Zeitung“ zeichnet. Die mit konsequenter Reduktion auf wenige Merkmale gestrichelten Personenporträts werden zu seinem Markenzeichen. Gelegentlich veröffentlicht er auch in überregionalen Publikationen wie „Pardon“, „Twen“ oder „Süddeutsche Zeitung“. In den 70er Jahren erstellt er im Auftrag des Wirtschaftsministeriums das Heft „Sonnen-Seiten des Saarlands“, das in seiner differenzierten und niveauvollen Darstellung, zu der Fred Oberhauser Informationskerne beigesteuert hat, mehr ist als eine der üblichen Werbebroschüren.
Die Leidenschaft fürs Fliegen lässt Stigulinszky auch nach dem Krieg nicht los. Als Sportflieger ist er seit 1950 dabei, als die Saarländer nach Ende des Verbots durch die Franzosen wieder fliegen dürfen, anfangs auch als Fluglehrer, vom damaligen Flughafen in St. Arnual aus. Auch für Geschäftsreisen nutzt er seine wechselnden Maschinen.

Mitte der 1980er Jahre beschließt Stigulinszky, seine geschäftliche Tätigkeit zurückzufahren, gleichzeitig setzt seine nun genauso konsequent betriebene literarische Produktion ein. Er beginnt, meist im Selbstverlag und anfangs unter dem Reihentitel „Afternoonsense“, eine konsequent durchgehaltene alljährliche Buchpublikation mit gesammelten eigenen Stücken unterschiedlicher Arten, von denen Günter Scholdt aufzählt: satirisch-kabarettistische Kommentare und Szenen, Erzählungen und Kurzgeschichten, essayistische Stellungnahmen zur Zeit oder zum künstlerischen Selbstverständnis, autobiographische Erinnerungen, Redeausschnitte, Reiseimpressionen, lyrische Momentaufnahmen, flapsig (selbst-)ironische oder parodistische Gedichte, Aphorismen, komische Kleinszenen.

Stigulinszkys Standpunkt ist der des politisch wachen, ideologisch nicht gebundenen, selbständig denkenden, des Staunens noch fähigen, an allen Fragen der Zeit und allen Alltagserscheinungen interessierten, humorvorvoll distanzierten Individuums. Als gelernter Werbemann ist Stigulinszky bestrebt, seine Leser nie zu langweilen, die durchgehend ironische Darstellungsweise entspricht aber auch seiner Lebensphilosophie. Dabei bewegt er sich völlig ungezwungen zwischen Tiefsinn und Kalauer.

Stigulinszkys Publikationen sind ein Spiegel saarländischer Zeitgeschichte. Unter seinen zahlreichen Büchern hervorzuheben sind die Karikaturen- und Textsammlung „Und nu, Europa?“ (1992), das Saarland-Buch „Von Spichern bis zur kleinen Wiedervereinigung“ (1995), die autobiographischen Skizzen in „Vom Hundertsten ins Tausendste“ (1997) und „90 Vierjahrszeiten. Und?“ (2016). Eine Werkauswahl des zeichnerischen wie auch literarischen Werkes aus 60 Jahren gibt der Sammelband „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ (2006).
Als einer, für den die Saar-Abstimmung 1935 das erste bewusst wahrgenommene politische Ereignis ist und der die Zeitläufte seither nicht nur als passiver Zuschauer, sondern als engagierter publizistischer Begleiter erlebt hat, ist Roland Stigulinszky ein gefragter Zeitzeuge für Medien und wissenschaftliche Symposien. Mit seinen Karikaturen-gespickten Chronologien betreibt er eigene populäre Zeitgeschichtsschreibung. 1987 erhält er den Saarländische Verdienstorden. 2013 findet in Sulzbach die Ausstellung „Roland Stigulinszky – Querschnitt und Rückblick“ statt.  (RP) ZITAT