Matthias Enzweiler

geb. 01. März 1900 in Bachem, heute Ortsteil von Losheim am See, Kreis Merzig-Wadern; gest.  07. 06. 1987 in Saarhölzbach, heute Ortsteil von Mettlach, Kreis Merzig-Wadern; bestattet auf dem Gemeindefriedhof Saarhölzbach

schwarz weiß Aufnahme des Autors im Freien, auf einem Stuhl sitzend

Foto: privat

Im Hauptberuf Lehrer und Schulleiter, schrieb Matthias Enzweiler Zeit seines Lebens über die Geschichte und das soziale und kulturelle Leben der Menschen seiner Heimat.

Schon in jungen Jahren hörte er sich gerne die Geschichten alter Leute an und sammelte Informationen über alte Zeiten und Zustände. In zahlreichen Veröffentlichungen profilierte er sich als Instanz in Sachen Heimatkunde. Die war bis in die 1950er Jahre hinein Unterrichtsfach in der saarländischen „Volksschule“. „Das Besondere der Arbeiten von Matthias Enzweiler“, so Karl August Schleiden im Vorwort zum „Merziger Land“, liege „in der Aufzeichnung von Vorgängen, Sitten und Gebräuchen, die nicht nur in die Erinnerungen seiner frühen Kindheit reichen, sondern auch in die Bereiche des Hörensagens früherer Generationen zurückgehen und die heute unwiederbringlich dahingegangen sind.“ ZITAT

Enzweiler hatte einen Blick auch für die bäuerliche Architektur. Er hielt fest, wie im 19. Jahrhundert die Tagelöhner wohnten (Berger Hütten). Und er litt, wenn in den Dörfern die gebogenen Scheunentore der Lothringer Bauernhäuser durch quadratische Garagentore verunstaltet wurden. Bei aller Bodenständigkeit war Matthias Enzweiler weltoffen. „Die Heimat ist das Tor zur Welt“, schrieb er im Vorwort zu seinen „Sagen und Geschichten“.  Er liebte das Theater, schrieb auch Stücke. Es zog ihn in fremde Städte und Länder; er reiste nach Rom und Südfrankreich und kannte sich in der Geographie der Länder, die er besuchte, bestens aus.

Titelseite Sagen und Geschichten

Geboren wurde Matthias Enzweiler in Bachem. Sein Vater war Bergmann und Nebenerwerbslandwirt, der mit 30 schon Silikose hatte und trotzdem 97 Jahre alt wurde. Dass der Bergmannssohn Lehrer wurde, war für damalige Verhältnisse ein großer sozialer Schritt nach oben. Matthias Enzweiler wurde und war Grundschullehrer unter fünf Schulverwaltungen: im Saargebiet unter dem Völkerbundregime (1920–1935), im Saarland unter der Nazi-Diktatur (1935–1945) , im Regierungspräsidium Saar (1945–1947), im autonomen Saarstaat unter JoHo (Johannes Hoffmann, 1947–1956) und im rückgegliederten Saarland als Land der Bundesrepublik Deutschland (1957 bis zum Ausscheiden aus dem Dienst 1966). So oft auch die Regime wechselten, so sehr verkörperten gerade Lehrer-Persönlichkeiten wie Matthias Enzweiler und die Schulräte über ihnen auch die Kontinuität.

Nach der Volksschule – damals war das noch ohne Abitur möglich – trat Matthias Enzweiler in die Präparandie und 1918 ins Lehrerseminar in Merzig ein (heute Gymnasium am Stefansberg). Schon nach wenigen Wochen war Schluss mit dem Studium; Matthias Enzweiler musste zum Militär und erlebte die letzten Monate des Ersten Weltkrieges noch als Soldat. Erst im Februar 1921 konnte er sein Studium beenden. Danach folgten Arbeitslosigkeit und die nicht enden wollende Suche nach einer Anstellung in den Jahren der Nachkriegs-und der Weltwirtschaftskrise. Es sollte bis Ende November 1930 dauern, bis Enzweiler die Zweite Staatsprüfung ablegen konnte, und ein weiteres Jahr, bis er eine unbefristete, feste Stelle als Lehrer erhielt – 1931 in Neipel (heute Ortsteil von Tholey, Kreis St. Wendel). Von Juni 1921 bis Ende November 1929 fristete der junge Mann auf insgesamt 14 Vertretungsstellen in den Kreisen Merzig und Ottweiler ein prekäres Dasein als Schulamtsbewerber bzw. Hilfslehrer. Zwischen den Vertretungen mit ihren insgesamt 13 Ortswechseln war er teils arbeitslos, teils „jobbte“ er, unter anderem bei der Bürgermeisterei Merzig-Land und dem Finanzamt in Merzig.

Ungeachtet seiner prekären Situation gründete Matthias Enzweiler eine Familie, heiratete 1926 die Bauerntochter Magdalena Meiers aus Rimlingen. 1927 kam das erste Kind zur Welt, eine Tochter, Maria Edith. Sie erkrankte mit zwei Jahren an Meningitis und blieb für den Rest ihres Lebens ein Schwerst-Pflegefall. 1928, 1934 und 1937 kamen die drei Söhne der Enzweilers zur Welt. Sie durften sich später in der Kunst und Kultur verwirklichen: Franz-Rudolf (später François) als Dozent und in Leitungsfunktionen beim Goethe Institut u.a. in London, Tunis und Rom; Matthias, geboren 1937, als Schauspieler und Sprecher/Moderator beim Bayerischen Rundfunk. Der 1934 geborene Hermann-Josef nannte sich später Jo und wurde Bildender Künstler, Kunstpädagoge und Gründungsrektor der Hochschule für Bildende Künste Saar (1987). Heute leitet er das Institut für Aktuelle Kunst in Saarlouis.

Matthias Enzweilers beruflicher Weg führte von Neipel aus über Büdingen auf dem Saargau (1933) nach Saarhölzbach (1937). Inzwischen war nicht nur im Reich, sondern auch an der Saar Hitler an der Macht. In Deutschland wurde eine faschistische Diktatur errichtet. Ob der praktizierende Katholik Enzweiler einen inneren Konflikt durchlitt, wie ihn nach dem Krieg Maria Croon in ihrem Roman „Die köstliche Mühsal“ schilderte, ist nicht überliefert. Fakt ist, dass Matthias Enzweiler am 1. August 1933 die Mitgliedschaft in der NSDAP beantragte und noch am gleichen Tage aufgenommen wurde: Mitgliedsnummer 2 697 448. Am 1. Dezember 1935 trat er in die SA ein. Nach dem Krieg damit konfrontiert, behauptete Enzweiler, niemals an Aufmärschen oder Kundgebungen der SA teilgenommen zu haben und mit keinerlei Publikation hervorgetreten zu sein. Zum Scharführer habe man ihn kurz vor Kriegende gegen seinen Willen befördert.

Matthias Enzweiler als Lehrer in seiner Schulklasse, 1950er Jahre

Die Räumung der saarländischen Grenzgebiete zu Frankreich 1939 und der Beginn des Zweiten Weltkriegs trennt die Familie Enzweiler zwei Jahre lang. Die behinderte Tochter Edith lebt seit 1936 in einem Pflegeheim in Aachen, einem katholisch geführten Haus. Hier lernt das Kind lesen und die Hände so weit zu gebrauchen, dass es einen Löffel zum Mund führen und Buchseiten umblättern kann. Ende August 1939 zieht Matthias Enzweiler zum zweiten Mal in seinem Leben in den Krieg, und wieder an die Westfront, während seine Frau mit den drei Söhnen nach Jena evakuiert wird. Nach seiner Freistellung aus dem Militärdienst Ende März 1940 arbeitet Matthias Enzweiler vertretungsweise auf einer Lehrerstelle in Großenhausen, Kreis Gelnhausen. Anfang 1941 kann die Familie nach Saarhölzbach zurückkehren, wo Matthias Enzweiler seine reguläre Lehrerstelle wieder einnimmt. Ganz zum Schluss wird er noch zum Volkssturm eingezogen, von den Amerikanern gefangengenommen und an die Franzosen ausgeliefert. Zwei Jahre ist er Kriegsgefangener in Corèze, Frankreich. Seine Tochter hat er 1944 noch nach Hause geholt. Die Familie folgt nicht den Anweisungen für eine zweite Evakuierung, sondern setzt sich bei Nacht und Nebel nach Mitlosheim außerhalb des Räumungsgebietes ab, findet Zuflucht auf dem Bauernhof einer Tante. Als Matthias Enzweiler 1947 wieder nach Saarhölzbach zurückkommt, ist die Entnazifizierung durch, und er bleibt „ohne Sanktion“. So lautet der Vermerk auf seiner Personalakte.

Matthais Enzweiler kann wieder ein normales Leben führen. Er steigt in Saarhölzbach zum Schulleiter auf. Nach der Pensionierung 1965 arbeitet er noch ein Jahr als Lehrer im Angestelltenverhältnis weiter. Er schreibt und veröffentlicht seine heimatkundlichen Texte und pflegt Kontakte zu Johannes Kirschweng und Maria Croon. In heimatgeschichtlichen Fragen suchte Matthias Enzweiler gerne den Rat und das Fachwissen des Mondorfer Landeskundlers Dr. Anton Jacob (1891 – 1962). Engere Kontakte pflegte er auch zur Familie Regler. „Das Ohr des Malchus“ war für ihn ein wichtiges Buch, und wenn Gustav Regler im Lande war, kam er zu Besuch. So erinnert sich jedenfalls Sohn Jo. Gustavs Bruder, der Merziger Buch-und Bürowarenhändler Franz Regler, zählte zu den Förderern des Kreisheimatvereins Merzig-Wadern, dessen Vorsitzender Matthias Enzweiler viele Jahre lang war. Enzweiler schilderte liebevoll, „wie mütterlich“ die alte Frau Regler, Gustavs und Franzens Mutter, ihn anlachte, „auch wenn man als Kind nur für wenige Pfennig gekauft hat“. Und anschreiben lassen durfte man auch bei ihr, damals in „Altmierzig“.

1973 ernannte die Gemeinde Saarhölzbach Matthias Enzweiler zum Ehrenbürger. 1985 erhielt er den Saarländischen Heimatpreis mit Maria-Croon-Plakette und im gleichen Jahr das Bundesverdienstkreuz. Seit 1991 ist ein Saar-Lor-Lux- Kulturwanderweg nach ihm benannt.

Von 1987 bis 2017 ruhte Matthias Enzweiler auf dem Gemeindefriedhof von Saarhölzbach unter einer von seinem Sohn Jo gestalteten Grabplatte. Nach 30 Jahren Liegezeit wurde das Grab 2017 eingeebnet. Die Platte soll in einer „historischen Ecke“ des Friedhofes als Monument erhalten bleiben. (IP)