Marcus Imbsweiler

geb. 2. Juni 1967 in Saarbrücken

Portraitbild Marcus Imbsweiler

Foto: Privat

Bekannt gemacht haben ihn vor allem seine zahlreichen Erzählungen und Romane, allen voran eine inzwischen auf neun Bände angewachsene Krimireihe. Aber Marcus Imbsweiler ist ein Multitalent. Der studierte Musikwissenschaftler fragt auch nach dem Verhältnis zwischen Musik und Gesellschaft, und er schreibt Theaterstücke.

Marcus Imbsweiler wächst in Limbach (seit 1974 Kirkel-Limbach) auf; er besucht das Saar-Pfalz-Gymnasium in Homburg, wo er 1986 das Abitur macht, anschließend Zivildienst. Zwischen 1988 und 1997 studiert er in Tübingen, München und Heidelberg Philosophie, Geschichte, Musikwissenschaft und Germanistik; Magisterarbeit über Alfred Andersch („Ephraim“).

Im Anschluss an das Studium bleibt Imbsweiler in Heidelberg (wo er auch heute noch mit seiner Familie lebt) und beginnt, als freier Musikredakteur für Orchester (Münchner Philharmoniker, Bamberger Symphoniker), Konzertveranstalter und Rundfunkanstalten wie SWR, SR, NDR oder WDR zu arbeiten. Er verfasst Programmhefte für Konzerte, macht Pressearbeit für Festivals (u.a. „Heidelberger Frühling“, „Beethovenfest, Bonn“), hält Einführungsvorträge bei Musikveranstaltungen. Seit 2005 auch literarische Veröffentlichungen.

„Die Achse des Bösen“

2005 schickt Imbsweiler einen Prosatext an den Saarländischen Rundfunk, Titel: „Die Achse des Bösen“. Literaturredakteur Ralph Schock sendet die Satire, in der das Saarland (durch ein Missverständnis) zum Schurkenstaat erklärt wird und in eine existenzbedrohende Lage gerät, am 27. Dezember 2005 auf SR2 Kulturradio. Im selben Jahr erscheint der Text auch in dem literarischen Magazin „Streckenläufer“ in Saarbrücken. 2006 schreibt Imbsweiler basierend auf der Erzählung ein Drehbuch mit demselben Titel und gewinnt damit den zweiten Preis beim „Saar 06-Drehbuchwettbewerb“.

In den folgenden Jahren veröffentlicht Imbsweiler immer wieder Erzählungen. 2007 erscheint ein erster Roman, „Bergfriedhof“ (Gmeiner-Verlag, Meßkirch), der Auftakt zu einer Krimi-Reihe, die inzwischen auf neun Titel angewachsen ist (Stand Nov. 2022).

Die Max Koller-Krimis

Dass er ausgerechnet in diesem Genre debütiert, liegt nach eigener Aussage am Respekt vor „ernster“ Literatur, den man ihn als Student der Germanistik offenbar gelehrt hat. In der Unterhaltungsliteratur, sagt Imbsweiler, „kann man nicht viel falsch machen.“ So beginnt er schon um das Jahr 2000 mit der Niederschrift eines Kriminalromans, der nach vielen Überarbeitungen schließlich bei Gmeiner erscheint und so erfolgreich ist, dass der Verlag nach einer Fortsetzung fragt.

Imbsweiler schätzt die Altmeister des Genres, Raymond Chandler und Dashiell Hammett. Dass es müßig wäre, ihre Heldenfiguren zu kopieren, ist ihm bewusst; also denkt er über eine ansatzweise persiflagehafte, moderne Version des „einsamen Wolfs“ nach. Mit dem schnodderigen Privatermittler Max Koller schafft er eine originelle, „kantige“ Figur. „In einer Stadt wie Heidelberg, die von ihrem Postkarten-Image lebt, da grätscht Max Koller richtig rein.“ Mal großmäulig, mal selbstkritisch, muss er seine Zeit zwischen der Verbrechensaufklärung und dem Ausliefern von Pizzakartons aufteilen (im Band „Heidelbergblues“ verdient Koller dann seine Brötchen hauptberuflich als Fahrradkurier). Es versteht sich von selbst, dass dieser Detektiv in dieser Stadt keinen Serienmördern über die Füße fährt.

Imbsweiler lässt seinen Helden aus der „Ich-Perspektive“ erzählen; nicht immer linear, dafür mit Spannung generierenden Verschiebungen der Zeitachsen. Seine Geschichten sind wendungsreich, aber am Ende immer plausibel. Und eben auf angenehme Weise augenzwinkernd. „Und schon hatten wir sie wieder, diese archetypische Konstellation, die am Beginn großer Abenteuer und verzwickter Fälle steht. Eine Auftraggeberin, ein Ermittler, ein Problem.“ („Heidelbergblues“, S.9)

„55“ – der Saar-Abstimmungskampf

Das Jahr 1955 ist ein – wenn nicht das – Schicksalsjahr in der jüngeren Geschichte des Saarlands. Die Abstimmung vom 23. Oktober ´55 bedeutet das Ende der Regierung Johannes Hoffmann und bereitet den Weg für die Eingliederung des Landes in die Bundesrepublik. Die Abstimmung gerät zum „Abstimmungskampf“, der bis in die Familien hinein reicht (Imbsweilers Vater wird Zeuge der als „Schlacht am Hüttenberg“ bekannten Tumulte in Neunkirchen) und polarisiert.

„Für mich ist es gut, wie es gelaufen ist,“ sagt Marcus Imbsweiler (Interview vom 08.11.22), „aber man kann sich ja trotzdem mal Gedanken machen: Was wäre gewesen, wenn … Wenn die Leute damals anders abgestimmt hätten, dann hätte ich heute einen anderen Pass hier in Heidelberg.“ Diese Überlegungen führen schließlich zu einem Roman, der retrospektiv, aus dem Jahr 2015 heraus, die Ereignisse von „damals“ noch einmal lebendig werden lässt.

Der Schwarze Kurt, einer der Kämpfer von „damals“, stirbt 2015, und sein Tod wirft Fragen auf. Sein Intimfeind, der Rote Fred, versucht, Vergangenes zu vertuschen, aber sein Enkel Joris bohrt immer weiter und bringt schließlich unbequeme Wahrheiten ans Licht. Die Figur des Joris, der nach Jahren in das Dorf seiner Kindheit zurückkommt, der (wie Imbsweiler selbst) sowohl Sympathie als auch Distanz zu den Menschen hier spürt, gleichzeitig Fremder und intimer Kenner des Ortes ist, bestimmt die Erzählperspektive. „Der Blick von außen war wichtig. Das ist einer, der eine gewisse Distanz zum Geschehen hat.“

Imbsweiler nennt den Ort der Handlung Dürrweiler. Topografisch kann man in Uchtelfangen (Ortsteil von Illingen) die Vorlage für das fiktive saarländische Dorf erkennen. Aber Dürrweiler steht exemplarisch für die erstarrte Provinz, über die es heißt: „Verrückt war man nicht, man wurde es. Weil man die Verhältnisse nicht mehr ertrug, weil man raus wollte, weil man erstickte am Mief der Provinz…“ (S. 163) und: „Willkommen im Dorf, Joris! Komödie, Tragödie – wir bieten alles.“ (S. 162)

In den Erinnerungen des Roten Fred wird dieses entscheidende Jahr 1955 wieder lebendig. Der Autor Imbsweiler, der diese Zeit selbst nicht erlebt hat, macht den Mangel an eigener Erfahrung wett durch minutiöse Recherche. Natürlich finden bereits Klischée gewordene Saar-Spezifika Eingang in seinen Text. Aber er gräbt auch spannende, wenig bekannte Fakten aus, die nicht nur die Historie beleuchten, sondern darüber hinaus Parallelen zur Gegenwart offenbaren. „1955 ist zwar ewig her, sechzig Jahre; aber da sind Probleme verhandelt worden, die sind auch unsere Probleme. Die haben auch darüber nachgedacht: Wer sind wir eigentlich, wo gehören wir hin? Das sind die gleichen Probleme, die wir jetzt haben mit Europa und den Nationalstaaten und all das.“ (M. I. am 08.11.22)

Mit dem fiktiven Ort Dürrweiler und seinen Menschen hat Imbsweiler einen Mikrokosmos geschaffen, wie es auch andere Autoren getan haben. Und er kehrt dorthin zurück.

„Achtundachtzig“ – die Katastrophe in Ramstein

Dürrweiler im Sommer 2018. „Gleich am Ortseingang eine neue Tankstelle … Kurz dahinter ein Nagelstudio. Vor der katholischen Kirche der aufgehübschte Marktplatz…“(S. 27) Joris, Jasmin, Karlmann, der Polizist Alwin Bungert – ein großer Teil des Personals von „55“ tritt wieder auf, wenn auch mit deutlich anderer Gewichtung der einzelnen Rollen. Wieder steht ein Jahrestag vor der Tür. Vor dreißig Jahren, am 28. August 1988, kommt es auf der nahegelegenen amerikanischen Luftwaffenbasis Ramstein zur Katastrophe. Es ist Flugtag auf der Air Base, ein makabres Spektakel, das Tausende anzieht. Bei einer gewagten Vorführung kollidieren drei Jets, einer stürzt in die Zuschauer, siebzig Menschen kommen ums Leben, über hundert werden schwer verletzt. Das Leid bleibt auch dreißig Jahre danach unermesslich.

Vor dreißig Jahren waren Alwin, Andreas, Sascha und Franziska unzertrennlich, die coolste Clique von Dürrweiler. Sie waren „im Schatten der Air Base aufgewachsen“ (S. 140), sie fahren an diesem Schicksalstag nach Ramstein und was sie erleben, wird ihr Leben verändern. Der Sommer 1988 – das ist der zweite Erzählstrang.

2018 lebt nur Alwin noch in Dürrweiler. Er bekommt Besuch von Franziska. Ähnlich wie Joris in „55“ fällt ihr die Rolle der Beobachterin von außen zu, der Fremden mit dem Wissen der Insider. Franziska hat eine Mission; sie will ein Buch über Ramstein schreiben, über die Katastrophe von damals, über die Drohnen-Leitzentrale von heute, das Menschenverachtende der Politik – damals wie heute. Franziska ist eine Getriebene, das Buchprojekt ihre Therapie. Die Figur Alwin ist anders angelegt: rational, abwägend, abwartend bis stoisch. Franziskas Fragen und Drängen empfindet er „als würde jemand mein Leben auf den Prüfstand stellen.“ (S. 155).

Drei Jahrzehnte trennen die beiden Zeit- und Erzählebenen, die durch das Erleben der Katastrophe und ihre Auswirkungen verbunden werden. Erzähltechnisch unterscheidet sich „Achtundachtzig“ also wenig von „55“. Beide tragen auch den Untertitel „Kriminalroman“. Dem kann man allenfalls zustimmen, wenn man diesen Begriff sehr weit fasst. Ja, es gibt in beiden Texten Todesfälle, die polizeilich untersucht werden. Aber die Ermittlungen spielen doch eine sehr untergeordnete Rolle. (Die Einordnung geht auch nicht auf den Autor zurück). „Achtundachtzig“ ist eher ein Psychogramm. Es zeigt auf, dass in unserer Gesellschaft noch viel mehr in Sachen Traumabewältigung getan werden muss.

Exzentrisch, musisch, menschlich

Marcus Imbsweiler ist begeisterter Marathon- und Langstreckenläufer (mehrfacher deutscher Altersklassenmeister); längst ist er auch auf dem entsprechenden literarischen Terrain zuhause, der sog. „narrativen Langform.“ Dass er sich durchaus auch gerne auf der „Kurzstrecke“ bewegt, zeigen seine Erzählungen.

2008 erscheint im Conte-Verlag, St. Ingbert der Band „Verwandte auf dem Mars – Eine Familie in Geschichten“. Mit Humor und Sympathie für seine Figuren erzählt er von vierzehn „gescheiterten Lebensentwürfen“, von Exzentrikern und Sonderlingen; ein Plädoyer für mehr Unangepasstheit und Toleranz.

2010 erscheint (ebenfalls bei Conte) der Band „Frontsignale.“ In den vier hier versammelten Texten hinterfragt der Musikwissenschaftler Imbsweiler das Wesen der Musik und das – oft falsche – Bild, das die Gesellschaft von ihr hat. Musik ist für den Autor eben nicht „zum Klingen gebrachte Friedfertigkeit. Als ausgeübte Kunst steht sie mitten im Leben und somit in Kontakt zu Gewalt, Krieg, Unrecht.“ Wie sich klassische Komponisten (Gustav von Holst, Joseph Haydn u.a.) zu dieser Tatsache verhielten, ist Gegenstand dieser Erzählungen.

Auch 2020 kehrt Imbsweiler mit vier Komponistenerzählungen unter dem Titel „Kabinett der Grazien“ zu diesem Themenkomplex zurück. Wie ist das Verhältnis der Musik zum Militär? Welchen Rang nimmt der Musiker in der gesellschaftlichen Hierarchie ein? In der Erzählung „Der Herr Dworschak“ – der süffisante Unterton der Anrede suggeriert bereits einen Mangel an Respekt – sieht sich der böhmische Komponist mit einem Beamten des k.u.k. Kriegsministeriums konfrontiert; Dvorak möge einen Festtagsmarsch komponieren zum Regierungsjubiläum Franz Josephs I. Als sei der Komponist „ein Musikautomat“ (S.148), übersprudelnd von heiteren Melodien, naiv und losgelöst von jedweder gesellschaftlichen Realität. Dvorak galt vielen seiner Zeitgenossen tatsächlich als jovialer „böhmischer Bauchmusiker“. Imbsweiler hält ihn hingegen für „sehr reflektiert“ und politisch interessiert und lässt ihn den Beamten schließlich mit den Worten verabschieden: „Ihren Kollegen können Sie sagen, das der Herr Dworschak ein Mensch ist, der Musik schreibt. Und kein Musiker, der zufälligerweise Mensch ist.“ (S.148)

„Die Vorstellung findet statt“

Dass er als Autor nicht nur den Leser im Auge hat, sondern auch das Theaterpublikum, zeigt Imbsweiler in seiner Zusammenarbeit mit Florian Kaisers Wanderbühne „Theater Carnivore“. Publiziert werden die Texte, die er für diese Truppe schreibt im Theaterverlag Hofmann-Paul in Berlin.

Am 24. Juli 2020 wird das erste seiner Stücke (siehe Liste der Werke) uraufgeführt, Corona-bedingt vorwiegend auf Freilichtbühnen wie dem Heidelberger Wilhelmsplatz oder auf Stift Neuburg, einer Benediktiner-Abtei am Neckar: „Unsterblich!“, – im Untertitel „Solo für eine unwirsche Frau“. Der Verlag schreibt dazu: „Marcus Imbsweiler bezieht sich in seinem Stück auf die historische Person der Josephine Gräfin Deym von Stritetz, der wahrscheinlichen Adressatin von Beethovens „Brief an die Unsterbliche Geliebte“ 1812. Er fügt Zitate aus Briefen des Paares in den Text und musikalische Auszüge aus Beethovens Werk ein. In der Inszenierung werden so Sprechtheater, Musik und Tanz miteinander verwoben. Die Umsetzung der Infektionsschutzmaßnahmen wirkt als komisch – poetisches Moment.“

Ein wiederkehrendes Thema lässt sich in den beiden Stücken „Immer nur einer“ und „Die Vorstellung findet statt“ erkennen; es geht um das menschliche Grundbedürfnis nach Nähe. Der Verlag zu „Immer nur einer“: „In Zeiten von Distanzunterricht, Quarantäne und Hygienevorschriften geschrieben, zeigt das Stück in den Figuren personifiziert das Gegensatzpaar Nähe und Distanz – und die menschliche Sehnsucht nach wahrer Intimität.“

Imbsweilers Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Themen wie der Corona-Pandemie findet auch Niederschlag in der 2021 erstellten Dokumentation „Ganz nah dran. Ärzte und Pflegekräfte berichten von ihren Corona-Erfahrungen“. Die Arbeit wurde vom Land Baden-Württemberg gefördert; ein Verlag hat sich dafür nicht gefunden, so dass der Text nur als pdf-Datei auf der Homepage des Autors zu Verfügung steht.

pmk