Johann Georg August Wirth

geb. 20. Nov. 1798 in Hof/Oberfranken, gest. 26. Juli 1848 in Frankfurt/Main

Johann Georg August Wirth war der liberale Dreh- und Angelpunkt des Homburger Freiheitsfrühlings 1832, aber auch ein Totengräber der Hambacher Bewegung.

Schauplatz Homburg, es ist Donnerstag, der 8. März 1832, kurz nach Mitternacht: Am Hause Zöller unweit des Marktplatzes sind, im Schutze der Dunkelheit, drei vermummte Gestalten zu Gange. Nachdem sie sich versichert haben, dass die Luft rein ist, machen sie sich an einem Seitenfenster bemerkbar, über die Hintertür gelangen sie ins Innere. „Packe Er das Nötigste ein, und zwar schleunigst“, drängt das Trio den Hausherrn zur Eile, der in Nachthemd und Schlafmütze vor ihnen steht und sie ungläubig anstarrt.

Es ist Johann August Georg Wirth, der liberale Journalist, der hoch angesehene Redakteur der „Deutschen Tribüne“, der unerschrockene Kämpfer für Demokratie und ein einiges Deutschland. Aus Zweibrücken seien sie mitten in der Nacht auf Homburg herüber geeilt, um ihn zu warnen. Denn ihnen sei aus verlässlicher Quelle zu Ohren gekommen, dass in den nächsten Stunden, wahrscheinlich mit dem morgenden Tage, Gendarmerie anrücken werde – es sei Haftbefehl gegen ihn erlassen worden. „Er spute sich, die Kutsche wartet schon vor der Haustüre!“, drängen die drei Männer, bekannte Köpfe der „entschiedenen Opposition“, gute Bekannte von Wirth. „Ich soll entfliehen? Feige entweichen von dem Kampfplatz im entscheidenden Augenblick? – Niemals!“, widersetzt sich der Herr Redakteur ihrem Ansinnen. Er habe Recht und Gesetz schließlich auf seiner Seite, niemals werde er sich staatlicher Willkür und dem Gesetzesbruch durch die Obrigkeit beugen.

Ein Beispiel dafür, wie aufgeheizt, ja explosiv die Lage in Homburg in diesem Frühjahr 1832 war. Zwar hatte sich die liberale Bewegung um ihre Wortführer Friedrich Schüler, Joseph Savoye und Philipp Jakob Siebenpfeiffer schon im Jahr zuvor sehr hörbar artikuliert. Doch erst mit der Ankunft von Wirth in Homburg eskalierte die Situation. Siebenpfeiffer hatte den 33-jährigen Journalisten, der zuvor in München seine „Deutsche Tribüne“ herausgegeben hatte, dazu überredet, sich in der Saarpfalz niederzulassen. Die freiheitlicheren Gesetze, verbriefte Pressefreiheit, gute Anbindung an das überregionale Straßennetz, allgemein liberal gesonnenes Bürgertum – Argumente für den Umzug in diesen Teil der bayerischen Pfalz gab es hinreichend.

„Die Freiheit wird wachsen“

Am ersten Weihnachtsfeiertag 1831 wurde Wirth in der einschlägigen Szene erstmals persönlich vorgestellt. Den Rahmen dafür bot ein „Bürger-Mahl“, das anlässlich der Verabschiedung Siebenpfeiffers gegeben wurde – dieser verlegte Redaktion und Druckerei seiner Zeitungen von Zweibrücken nach Oggersheim. Die bei dem Bankett gehaltenen Tischreden waren geprägt vom Selbstbewusstsein der liberalen Honoratioren in Zweibrücken: „Die Freiheit wird wachsen und gedeihen, aber auf dem Wege der Ordnung, das war die Sprache eines Jeden“, ließ Siebenpfeiffers „Westbote“ den Ablauf Revue passieren.

Pünktlich zum Neujahrstag 1832 kam Wirths „Tribüne“ erstmals in Homburg aus der Presse. Der Inhalt war radikal demokratisch, und so dauerte es keine drei Tage, bis die Ordnungshüter den Betrieb der Druckerei mit Polizeigewalt einstellten. Es begann nun ein langwieriges Katz- und Mausspiel: Wirth produzierte seine Zeitung abwechselnd in Zweibrücken, in der Druckerei von Georg Ritter ebenso konspirativ wie in privaten Hinterzimmern, und in Homburg. Stets war er der Polizei eine Nasenlänge voraus, hatte seine verlässlichen Sympathisanten und Informanten aus höchsten Kreisen, die ihn rechtzeitig warnten, wenn wieder einmal ein Zugriff bevorstand. Unter dem Titel „Deutschlands Pflichten“ veröffentlichte Wirth von Homburg aus sein politisches Programm, das in ganz Deutschland und auch außerhalb für Aufsehen sorgte. Seine Schriften fanden plötzlich reißenden Absatz, manche wurden in einer Auflage von 50.000 Exemplaren verbreitet.

Derlei offene Worte scheute der reaktionäre Frankfurter Bundestag, die gemeinsame Vertretung der führenden deutschen Adelshäuser, wie der Teufel das Weihwasser. Am 2. März 1832 wurde das offizielle Verbot verhängt, und zwar sowohl für die „Tribüne“ wie für Siebenpfeiffers „Westbote“. Zwei Wochen danach wurde Wirth festgenommen, am 21. März gelang es Georg Fein und Friedrich Sonntag, Wirths treuen Mitstreitern, letztmalig eine Ausgabe der „Tribüne“ zu produzieren, dann hatte die Obrigkeit die Oberhand gewonnen.

„Ein Deutschthümler von der abgeschmacktesten Sorte“

Nachdem Siebenpfeiffer die Region in Richtung Ostpfalz verlassen hatte, avancierte zweifelsohne Wirth zum Dreh- und Angelpunkt der liberalen Bewegung in Homburg wie in Zweibrücken. Aufgrund seiner publizistischen Aktivitäten in Frühjahr 1832 geriet er überregional ins Visier von Metternichs Agentennetz und der Spitzel des Deutschen Bundes. Dass er gerade im Vorfeld des Hambacher Festes die Auseinandersetzung mit diesen mächtigen Gegnern nicht scheute, machte ihn letztlich zum Mythos im Vormärz.

Seine Rede auf dem Hambacher Fest wurde mit Hochspannung erwartet, freilich sorgte er damit gleichzeitig für einen Eklat und brach einen folgenreichen Streit mit den Wortführern vom Zaun. So sehr er seine Zuhörer in Begeisterung versetzte, so sehr irritierte er sie freilich auch mit Teilen seiner Ansprache. Sein Bekenntnis zur Republik ging einher mit Warnungen an die Adresse Frankreichs, nicht noch einmal nach dem linken Rheinufer zu greifen. In diesem Fall müssten alle Deutschen sich wieder um ihre Regenten scharen und gegen den äußeren Feind antreten, selbst die Demokraten, deren eigentliches Ziel ja die Abschaffung der feudalen Strukturen sei.

Diese antifranzösischen Ausfälle passten nun gar nicht zum Geist des „europäischen Völkerfrühlings“, der auf dem Hambacher Fest so feierlich beschworen wurde – zumal es sich bei Wirths Ausführungen nicht um eine rhetorische Entgleisung handelte, sondern um den Ausdruck eines nationalbornierten Denkmusters, das sich später, 1840, während der sogenannten Rheinkrise, noch deutlicher offenbarte. Für Georg Herwegh war Wirth deshalb „ein Deutschthümler von der abgeschmacktesten Sorte“, und auch Wirths ehemaliger Redakteur bei der Deutschen Tribüne, Georg Fein, distanzierte sich nachdrücklich von der „Teutomanie“ seines einstigen Weggefährten.

Wirth wurde nach Hambach sofort inhaftiert. Als ein gutes Dutzend junge Homburger Bürger im April 1834 versuchten, ihn bei einem Gefangenentransport von Zweibrücken nach Homburg zu befreien, pochte er noch einmal auf Recht und Gesetz. Obwohl die Gendarmen, die ihn bewachten, überwältigt worden waren, verweigerte er die Flucht – man werde schon sehen, dass er im Recht sei und bald freigesprochen werde. Zwar folgte beim berühmten Landauer Assisenprozess im Sommer 1834 tatsächlich der Freispruch. Jedoch blieb Wirth weiter in Haft, da gegen ihn vor dem Bezirksgericht Zweibrücken wegen „Beleidigung in- und ausländischer Behörden“ verhandelt wurde. Am 31. Oktober 1833 wurde Wirth zur Höchststrafe von zwei Jahren Haft im Zentralgefängnis in Kaiserslautern verurteilt, die er im Gegensatz zu Siebenpfeiffer auch antrat. Teil seiner Strafe war tägliches Strümpfestricken, was ihn offenkundig dem Wahnsinn nahebrachte. So verfasste und veröffentlichte unter anderem Theorien, wonach er in der Lage sei, den Lauf der Weltgeschichte aus dem Lauf der Gestirne herauszulesen.

„Er starb wie Moses auf dem Sinai“

Nach seiner Entlassung lebte Wirth im Exil in Frankreich und später in der Schweiz, wo er weiterhin als politischer Journalist tätig war. Ende 1847 durfte Wirth nach Deutschland zurückkehren und zog für den Wahlkreis Reuß-Schleiz-Lobenstein in die Deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche ein – nicht etwa, weil er gewählt worden wäre, sondern weil der eigentliche Abgeordnete August Thieme als erklärter Wirth-Anhänger zu seinen Gunsten auf das Mandat verzichtete. Doch den scheinbaren Triumph der Freiheit durfte Wirth nur wenige Wochen erleben, und Wirksamkeit war ihm in der Paulskirche nicht mehr vergönnt: Die Verfassungsberatungen hatten kaum begonnen, als er am 26. Juli 1848 in Frankfurt starb.

Sein Begräbnis in Frankfurt geriet zur Großdemonstration für die noch junge Demokratie, die gesamte Nationalversammlung war bei seinem „Leichenzug“ auf den Beinen. „Ein schöner Tod, den ihm ein Gott verlieh! / Auf seinem Grabe soll die Widmung steh’n / Er starb wie Moses auf dem Sinai / Nachdem er Kanaan von fern gesehn“, reimte der Dichter Moritz Hartmann in einem Trauergedicht. Die Grabrede  hielt kein Geringerer als Robert Blum, der populäre Wortführer der Linken in der Paulskirche, zu denen sich Wirth gesellt hatte. Das Grab von Johann Georg August Wirth hat sich bis heute auf dem Frankfurter Hauptfriedhof erhalten. So vielfältig, ja schier unübersehbar seine juristischen, politischen wie historischen Publikationen sind, so wenig hat Johann Georg August Wirth literarisch gearbeitet. Einzig seine „historische Novelle aus neuer Zeit“ mit dem Titel „Walderode“, die 1845 erschien, wäre hier zu nennen. Darin beschäftigt er sich autobiografisch auch mit den Vormärz-Ereignissen in Homburg und Zweibrücken.(MB) ZITAT