Alfred Gulden

geb. 25. Jan. 1944 in Saarlouis

Foto: Martin Oberhauser

Alfred Gulden ist ein aus Saarlouis stammender Schriftsteller, Dramatiker, Lyriker, Lieder- und Filmemacher, der in seinem umfangreichen Werk eine große Themenvielfalt von der Heimat im Saarland bis zur fernen Welt, vor allem Amerika, anspricht und über seine Tätigkeit als Autor und Filmemacher auch an anderen Kunstprojekten mitarbeitet. Er schreibt sowohl in saarländischer Mundart als auch in Hochdeutsch. Gulden ist Träger des saarländischen Kunstpreises.

Alfred Gulden wurde gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in Saarlouis als Sohn eines Versicherungsbeamten in einer Familie mit insgesamt drei Kindern geboren. Er erlebt die Nachkriegszeit in dem stark zerstörten Saarlouis im zunächst französisch besetzten Saarland, das schließlich bis zur Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland 1957 ein teilautonomer Staat mit wirtschaftlichem Anschluss an Frankreich war und in dem mit einem künftigen Europastatut ein gemeinsames Europa vorweggenommen werden sollte. In diesem stark katholisch geprägten Saarland spielten Europa und die Überwindung der Grenzen eine wichtige Rolle. Das sind Themen, die sich in den Arbeiten Alfred Guldens widerspiegeln.

Nach dem Abitur im rheinland-pfälzischen Prüm – Besuch des Bischöflichen Konvikts ohne das Ziel, Geistlicher zu werden – studierte Gulden zunächst ab 1964 Germanistik, Sprech- und Theaterwissenschaft an der Universität in Saarbrücken. Sprechwissenschaft studiert er bei Hellmut Geißner, durch den er den Schriftsteller Ludwig Harig und den Übersetzer Eugen Helmlé kennenlernt. An der Studentenbühne der Universität arbeitet er mit Jochen Senf zusammen. Inszenierung von Stücken von René de Obaldia und Jean Tardieu. 1965 wechselt er an die Universität München.

am SchreibtischWährend seines Studiums spielt Gulden an kleinen Münchner Theatern (z.B. Büchnertheater” und “action”-Theater, das später das “anti-Theater” Fassbinders wird) und führt auch Regie (Stücke von Ionesco, Handke etc.). 1968 gründet er die avantgardistische Theatergruppe „Vorgänge/Vorstellungen“. Im Jahr 1969 ist er Mitbegründer von “Aktionsraum 1“, eine Maschinenhalle am Münchner Goetheplatz die als Raum für Aktions- und Konzeptkunst und Arte povera dient (Künstler wie Giuseppe Penone, Alighiero Boetti, Jan Dibbets, Stanley Brown, Günter Brus, Herman Nitsch, Berhard Höke, Dieter Meier und viele andere zeigen ihre Arbeiten dort).

1971 wird aus “Aktionsraum1” eine Wohn- und Arbeitsgemeinschaft in Nymphenburg, firmierend unter “A1 Informationen” mit Druckerei und Verlag.

Ab 1972 unterrichtet Alfred Gulden außerdem für drei Jahre Rhetorische Kommunikation an der Bayerischen Verwaltungsschule. Die Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern und Musikern wird aber weitergeführt. Gulden realisiert u.a. Projekte des österreichischen Aktionskünstlers Hermann Nitsch (1975 Nitschs 24-Stunden-Spiel und 1998 sein 6-Tage-Spiel in Prinzendorf/ Österreich). Rundfunk und Fernsehen werden zunehmend zu seinem Betätigungsfeld.

Umgeben von bayerischem Dialekt, besinnt Alfred Gulden sich auf seinen eigenen heimischen Dialekt, die Sprache seiner Mutter, und schreibt Gedichte und Lieder im moselfränkischen Dialekt, die er auch mit  Guitarre-  und Klavierbegleitung vorträgt.

Gulden bei einer Performance mit Christoph Thewes (links) 2019

Die Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern und Musikern bleibt. Rundfunk und Fernsehen werden zunehmend zu einem Betätigungsfeld. Gulden zeigt sich als Liedermacher, der seine Texte überwiegend in seinem heimischen Dialekt, dem Moselfränkischen schreibt, und sie zur Gitarre vorträgt.

Gulden macht zwei literarische Karrieren, eine mit Mundarttexten, die andere mit Texten in Hochdeutsch. Der Leser, der seine in Hochdeutsch verfassten Werke wahrnimmt („Greyhound“, „Die Leidinger Hochzeit“,  „Ohnehaus“, „Silvertowers“ u.a.) weiß möglicherweise nichts von Guldens Rolle als Mundartautor im Saarland. ZITAT

Im Saarland hat Alfred Gulden seit Mitte der 70er Jahre die Mundartliteratur auf ein neues Niveau gehoben und einen neuen Typus von Heimatdichter etabliert. Die Mundart ist die Sprache seiner Mutter, die aus Saarlouis-Roden stammt; der Vater hat kaum Dialekt gesprochen. In ausführlichen Interviews in Günter Scholdts Gulden-Werkbuch, in den „Saarbrücker Heften“ (Heft 97, 2007) sowie im Programmbuch zu „Dieses. Kleine. Land“ nimmt Gulden ausführlich zu den Themen Heimat und Mundart Stellung. Er sagt, er habe „überhaupt nichts dagegen, ein Heimatschriftsteller zu sein“ – wenn der Begriff „Heimat“ entsprechend neu definiert werde, so dass er nichts mehr mit „Scholle“ und „Blut und Boden“ zu tun habe. Heimat sei für ihn etwas, das sich eher im Kopf abspiele.

Text “Haellen Dach“Programmatisch hat Gulden sich zu einem Dasein auf der Grenze bekannt: „Nur auf der Grenze bin ich zu Haus” (1982) ist der Titel eines Bandes, der Essays und Aufsätze enthält, die zunächst in der „Saarbrücker Zeitung” veröffentlicht wurden. „De Grenz“ heißt auch eines seiner bekanntesten Mundartgedichte mit dem Refrain: „Aam hällen Dach / metten od da Gass / han aich de Grenz / gefon. / Was hòtt dii dòò / valooa?“ (siehe VIDEO) In Leidingen, dem Grenzort par excellence mit seiner längsgeteilten teils französischen, teils deutschen Neutralen Straße, ist das Gedicht Teil einer grenzüberschreitenden Installation.

Dabei ist die reale deutsch-französische Grenze gemeint, gleichzeitig ist die Existenz auf der Grenze aber auch Bild für etwas Allgemeineres, nämlich das Wissen darum, dass es immer das eine und das andere gibt. Dies ist die Haltung des Zweiflers, nicht die des Gläubigen. Der Zweifler neigt nicht dazu, sich mit einer Sache, einer Idee hundertprozentig zu identifizieren. „Die Identität, die durchlässig ist, die sich selbst auch immer wieder in Frage stellen kann, die ist mir wichtig, denn für mich ist Kritik enorm wichtig.“ Nicht von ungefähr heißt einer seiner Gedichtbände: „Da eewich Widdaspruch“.

Der einseitigen Identifikation mit dem Saarland entgeht Gulden durch das Pendeln zwischen den Wohnorten München und Wallerfangen. Bei den Bayern ist ihm die „krachlederne Identität“ des „Mir san mir“ fremd. Gulden empfindet sich von Geburt an als Außenseiter: „Als Rothaariger bin ich sowieso immer außen vor gewesen“, sagt er. In dem Kinderbuch „Root Hòòa un Summaschpròssen“ (1976) hat er diese – für einen Schriftsteller recht fruchtbare – Außenseiterposition schon einmal thematisiert.

Buch Zwischen Welt und WinkelDie intensive Auseinandersetzung mit der Heimat, dem „Winkel“, ist für Alfred Gulden kein Widerspruch zur Weltoffenheit – im Gegenteil. „Wer in seinem Winkel nicht sieht, sieht auch in der Welt nichts“, hat er festgestellt. Und: „Was ich nicht hier in einem Rodener Gäßchen an Menschlichem erkenne, kann ich auch in New York am Washington Square nicht sehen.“ Im Übrigen habe er „kleine Heimaten“ auch in New York gefunden.

Guldens erstes Buch ist denn auch ein Mundartgedichtband, „Lou mol lo lo laida“, 1976 in Rothenburg ob der Tauber erschienen. Im Nachwort erläutert er, dieser Gedichtband sei „der Versuch, das Besondere wie das Allgemeine einer Lokalität darzustellen, die positiven und negativen Seiten eines Nests zu zeigen, die sich in seinem Dialekt niederschlagen“. ZITAT

Es ist der Beginn von Mundartpublikationen nicht nur in Buchform, sondern auch als Kalender (1976-1986), Schallplatten bzw. CDs, Theaterstücken (u.a. „Naatschicht“, 1979) und Filmen. Dabei charakterisiert Gulden Menschen, Orte, Erlebnisse im Spiegel der Sprache, die er ihnen, aus typischen Redeweisen zusammengesetzt, in den Mund legt.

Guldens Literatur bewegt sich zwischen Heimat und Welt. Neben der Mundartliteratur mit Saarlandbezug gibt es schon früh den Strang mit hochdeutscher Literatur vor allem mit Bezug zu Amerika. Mit seinem Roman „Greyhound“, der 1982 erschien und in dem er sich mit dem „American Dream“ auseinandersetzt, gelang Gulden der überregionale Durchbruch. Er beschreibt darin eine Hochzeitsreise durch Amerika, die wieder zurück in die Heimat, das Saarland, führt. ZITAT

Über ein Jahrzehnt später veröffentlicht Gulden wieder ein Buch mit Amerika-Bezug, „Silvertowers. Geschichten aus New York“ (1993).

Guldens zweiter Roman „Die Leidinger Hochzeit“ handelt von der Hochzeit eines Deutschen und einer Französin in dem durch die Grenze geteilten Ort Leidingen, auf der es neben Harmonie auch Dissonanzen gibt – wie in einem Grenzraum. Der Roman folgte auf das im Jahr zuvor produzierte Fernsehfeature „Grenzfall Leidingen“, für den er den Deutsch-Französischen Journalistenpreis erhielt. Insgesamt produzierte er zahlreiche Film- und Hörfunkbeiträge unterschiedlicher Genres, die sich schwerpunktmäßig mit der SaarLorLux-Region beschäftigen und von denen viele vom Saarländischen Rundfunk ausgestrahlt wurden.

Gulden versteht es, mit der Sprache zu experimentieren, und fordert: „Das Besondere an Welt, was in Sprache steckt, zu entdecken und immer wieder neu zu formulieren, das ist das, was Literatur heute leisten sollte.“ Das gilt für seine Romane wie auch für seine Arbeiten für die Bühne.

Gulden guckt aus dem FensterDie Geschichte seiner Heimatstadt Saarlouis hat Gulden zweimal auf die Bühne gebracht. Anlässlich der 300-Jahrfeier 1980 beauftragte ihn die Stadt mit einem Theaterstück, das nüchtern den Titel „Saarlouis 300. Historische Revue“ trägt. In „39 Bildern“ beschreibt Gulden den Ablauf der Geschichte, unter Verwendung der Mundart; bei der Uraufführung führte er selbst Regie. 36 Jahre später, 2016, brachte Gulden, von Saarlouis zum „Stadtschreiber“ ernannt, wieder ein Theaterstück zur Saarlouiser Stadtgeschichte auf die Bühne. Sein Sprechstück „SilberHerz“ ist Teil eines Romans, an dem er arbeitet. Ein Chor von 60 Personen gibt „Lebewesen“, also Menschen, Tieren und Pflanzen, seine Stimme. Es ist mehr die Stimme der „Randfiguren“ der Geschichte, die über die Stadt berichten. „Es ist ein Stück von einem Saarlouiser Bürger mit Saarlouiser Bürgern für Saarlouiser Bürger und macht die Heimatstadt des Autors zum Mittelpunkt“, wie die Stadt ankündigte. Es ist ein „außergewöhnliches Stück“, das zeigt, wie Gulden auch mit der sprachlichen Darstellung von Geschichte experimentiert.

2021 vereint der Band „Die Taschen der Madame Carrive“ auf 150 Seiten 29 kurze Geschichten. 12 davon geben Gespräche am Küchentisch mit der Witwe von Jean Carrive wieder, der einst jüngster der Surrealisten um André Breton war. So wie die „französisch gewordene Deutsche“, so bringt der Autor bei seinem Aufenthalt in Bordeaux und um Bordeaux herum eine Reihe anderer Menschen dazu, sich ihm freimütig anzuvertrauen. Mal ist es ein Bettler, der ihn in einer Kirche anspricht, um ihm seine tragische Lebensgeschichte zu erzählen, mal ein ehemaliger Fremdenlegionär, der vor seinem Haus sitzt und mit Platanen spricht, mal eine Frau in einem Café, deren Mann von einem Einbrecher getötet worden ist. Manchmal erzählt Gulden auch nur von seinen eigenen Erlebnissen, bei denen ein Geräusch, ein Geruch genügen, um Erinnerungen auszulösen. Ohne Zweifel liegen allen Geschichten wahre Begebenheiten zugrunde, die vom Autor durch leichte Eingriffe poetisiert werden.

Plakat I cant waitIn mehreren Projekten arbeitete Gulden mit bildenden Künstlern (u.a. Bettina van Haaren) und mit dem Jazzposaunisten Christof Thewes zusammen. Die mit Thewes seit 1996 realisierten Projekte („Siebenschmerzen“, „Glück auf: Ins Gebirg!“ u.a.) sind auf CDs dokumentiert.

Seit 1980 lebt Gulden als freier Schriftsteller und Filmemacher in München (Nymphenburg) und Wallerfangen. Er war in erster Ehe mit der Amerikanerin Karen Bunjer verheiratet (1969-71), seine spätere Ehefrau Karin Hubach (Heirat 1976), eine Sozialpädagogin, lernte er in München kennen.

Gulden ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und im Netzwerk Neue Musik. Für sein literarisches und filmisches Schaffen erhielt Gulden zahlreiche Preise und Ehrungen. Sein Vorlass befindet sich im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass. (RP)