Gerd Thomsen

geb. 20. März 1942 in Neumünster (Schleswig-Holstein)

Gerd Thomsen wirkt als Arzt in Schmelz, bevor er als Rentner zum Autor ziemlich schwarzer Beziehungsgeschichten wird.

Mit Krimis haben Thomsens Romane insofern zu tun, als sie auch von Morden handeln. Aber es geht nicht um das klassische Whodunit (Wer hat’s getan?), sondern um das Warum. Die Wahl seiner Protagonisten erlaubt dem Autor, einen durchweg pessimistischen Blick auf die Welt, insbesondere die ehelichen Mann-Frau-Beziehungen, zu werfen, und gibt ihm Gelegenheit zu boshaft zugespitzten Formulierungen.

Gerd Thomsen wächst in Flensburg auf. Ab 1963 studiert er Medizin in Köln, promoviert in der Psychiatrie. Er ist in verschiedenen Krankenhäusern in unterschiedlichen Gegenden Deutschlands tätig. 1976 kommt er als Oberarzt in der Chirurgie ins Saarland. Er lebt zunächst in Losheim, ab 1984 als Arzt für Allgemeinmedizin in Schmelz. Seit 2007 ist er im Ruhestand. 2015 veröffentlicht er seinen ersten Roman.

In „Jede Wette, meine Liebe…“ geht es um einen Kriminalfall, bei dem der Leser gleich zu Anfang erfährt, wer der Täter ist. Ich-Erzähler der Rahmenhandlung ist ein Anwalt, dem ein Bekannter Aufzeichnungen hinterlässt, in denen er sich postum als Mörder bekennt. Auf unnatürliche Weise ums Leben gekommen sind zwei Frauenärzte – und der Mörder selbst, auch ein Frauenarzt. Thomsen will den Weg dieses nicht durchweg unsympathischen, gesellschaftlich erfolgreichen Norman Liebknecht zum Mörder nachvollziehbar zu machen. „Zu meinem Erstaunen“, sagt der Nachlassverwalter, „klang ein Gefühl auf, das sich Verständnis nennen wollte. Verständnis für einen Mann, der nach den Regeln und Maßstäben der Justiz Mörder zu nennen war.“ Seiner Frau hat der Täter eine Wette angeboten: „Jeder Mensch, auch Du, kann in eine Situation kommen, die ihn so verändert, dass er Gewalt anwendet. Und wenn erforderlich auch tötet.“ Ihn selber tröstet nach seinen Taten „der Gedanke, Handelnder geworden zu sein, bevor die Resignation mich verschluckt“.

In seinen Aufzeichnungen finden sich Formulierungen wie: „Ich habe mich entschieden, mich zu freuen, dass ich nicht wirklich unglücklich bin.“ Oder: „Auf die jungen Gesichter der Musiker war ein dem Anlass und dem Honorar gerecht werdender Ausdruck gestellt.“ Und es gibt wiederholt Sexszenen, in denen der Autor die weibliche Physiognomie und deren Defizite in fortgeschrittenem Alter lustvoll ausmalt: „Norman spürte die ausufernde Üppigkeit, die durch formgebendes, hochpreisiges Textil in eine gern geschaute Vortäuschung idealer Anatomie gezwungen wurde.“

In seinem zweiten Roman ist es eine Frau, die ihrem Mann nach dem Leben trachtet. Das Buch hat die Form des – naturgemäß einseitigen – Dialogs der Witwe mit ihrem toten Mann an dessen Grab. Die Ich-Erzählerin Constanze hat zu früh geheiratet, zu früh Kinder bekommen und sich früh von ihrem Ehemann entfremdet. „Jahr um Jahr kam so zusammen. Es normalte so dahin, unser Leben.“ Ehemann Konstantin ist Deutschlehrer „Klugscheißer aus Überzeugung“ und Rechthaber, er ist sozusagen „institutionell im Recht“. Er hemmt sie in ihren Bildungsbemühungen, behindert die Entfaltung ihrer Persönlichkeit, nervt sie mit seiner Bigotterie und Humorlosigkeit und erkennt nicht, „welches Potential neben dir in deinem Bett brach liegt“. Kein Wunder, dass die Frau sich im Zuge ihrer Emanzipation auch erotische Freiräume erobert. Und Mordgedanken hegt.

Die regelmäßigen Friedhofsbesuche samt Beschimpfung des Verstorbenen sind für die Frau eine selbst verordnete Therapie, Befreiung von den Belastungen aus fast 25 Jahren Ehe. „Als hätte ich mir mit meinem dialogischen Monologgeplapper lästigen Ballast von Herz und Seele geschaufelt.“ Da die Perspektive des Erzählers konsequent bei der Frau bleibt, erscheint der Mann uneingeschränkt als Ekel, über das postum zu lästern sie gar nicht aufhören kann. „Ich hielt durch, um es dramatisch auszudrücken. Ich hielt dich aus und will auch weiterhin schön unsachlich bleiben.“

Nach dem Ableben des Ehemannes geht die Protagonistin eine uneingeschränkt glückliche Beziehung zu einem älteren Mann, Ole Petter, ein. Mit ihm erfährt Constanze gemeinsame Bildungserlebnisse, an denen der Leser via Namedropping ein bisschen teilhaben kann. In diesem Zusammenhang taucht mit einem Zitat von Arnfrid Astel („Die Überlebenden planieren die Erde. / Sie sorgen für eine schönere Vergangenheit.“) der einzige Saarland-Bezug dieses Buches auf. Der böse Blick als Konstante dieses Buches, zunächst Constanzes Element, liegt im zweiten Teil beim neuen Partner Ole Petter mit seinen bissig-pessimistischen Bemerkungen über Politik, Kirche und den Zustand der Welt. Nach dem Tod dieses Partners wird Constanze ihre Monologe an ihn richten: „Wir haben noch viel zu bereden.“ (RP)