François-Régis Bastide

geb. 1. Juli 1926 in Biarritz, gest. 17. April 1996 in Paris

schwarz weiß Aufnahme wie Francoi an seinem Schreibtisch bei Radio SB sitzt

Foto: SR Archiv

François-Régis Bastide war als Autor und politischer Mensch eine bedeutende Größe im französischen Kulturbetrieb. In Bastides Karriere und seiner privaten Vita spielt Saarbrücken eine herausragende Rolle. Dank der noch ungefestigten Strukturen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte der junge Mann außergewöhnliche Gestaltungsmöglichkeiten, die er beherzt ergriff; und er fand hier Freunde und die große Liebe.

Was er davon in literarischer Form überliefert hat, kann auch als anschaulicher Beitrag zur saarländischen Zeitgeschichtsschreibung gelesen werden.

In seinem Roman „Wandererfantasie“ spricht der Autor von jenen seit den Saarbrücker Tagen vergangenen dreißig Jahren, „in denen ich mein Leben in politischen Komitees, in paraministeriellen Instanzen und in Verbänden der audio-visuellen Medien verbracht habe“. Das klingt nicht nach stolzer Bilanz, obwohl Bastide in seinem Leben sehr viel erreicht hat. Er hat zahlreiche Bücher, darunter elf Romane, geschrieben und dafür auch Preise bekommen und hatte wichtige Funktionen im Literaturbetrieb. Außerdem war er ein kreativer Radiomann. Er engagierte sich politisch, war Sozialist und stand François Mitterand nahe, der ihn zum Botschafter in Dänemark machte; danach war Bastide Botschafter in Österreich, dann bei der Unesco. In Frankreich hinterließ er laut französischem Wikipedia die Erinnerung an einen eleganten und kultivierten Menschen.

Die „Wandererfantasie“ ist zwar ein Roman, ein Stück Fiktion mit sehr komplizierter Struktur, aber sie enthält auch interessante zeitgeschichtliche Fakten, und zwar gerade in den die kulturpolitischen Ereignisse im Nachkriegs-Saarbrücken betreffenden Passagen. Ohne zu behaupten, dass sie es sind, die den Roman ausmachen, fokussieren wir uns im Folgenden auf diese Passagen. Immerhin hat Gisela Wand, die in ihrem Nachwort zur deutschen Ausgaben gerade die literarischen Qualitäten des Romans herausarbeitet, festgestellt: „An welchen Orten und zu welchen Zeiten sich die Handlung auch immer bewegt, geistiges Magnetfeld ist Saarbrücken; die Stadt wird zur Chiffre für Heimkehr und Selbstbegegnung, darum klingt sie in jedem Kapitel an.“

Kulturoffizier in Saarbrücken

Bastide, real und als in der Ich-Form schreibende Romanfigur, kommt im November 1945 im von Frankreich besetzten, von Militärgouverneur Gilbert Grandval beherrschten Saarland an. Er ist neunzehn Jahre alt, die Stelle in der Informationsabteilung unter Oberst de Bourdeille hat er durch Beziehungen seines Vaters erhalten, der in Biarritz ein angesehener Arzt ist. Um einigermaßen ernst genommen zu werden bei seinen Kollegen und bei den Saarländern, macht er sich ein paar Jahre älter und legt sich eine Brille zu. Außer dass er musikalisch begabt ist, hat er noch keine besonderen Qualifikationen für den Job als Besatzungsoffizier, und so macht er den Wiederaufbau des Musiklebens in der darniederliegenden Stadt zu seiner Aufgabe. „Ich hatte für mich den Auftrag erfunden, die Saarländer mit französischer Musik und französischen Musikern bekannt zu machen.“ Das passt zum offiziellen Auftrag der Besatzer, die Saarländer für die französische Kultur und über die Kultur für Frankreich zu gewinnen, aber dem jungen Bastide ist es ein Herzensanliegen.

Er findet im musikbegeisterten Kreis um den im Weinbergweg wohnenden Büromaschinenhändler Fritz Klein seine „ersten und treuesten Freunde“. Unter ihnen Rudolf Michl, der seit1940 Erster Kapellmeister und Chordirektor am Stadttheater Saarbrücken war und1946 Leiter des Rundfunksinfonieorchesters wurde, der Musiker Hans Skohoutil und Emil Straus, in der Verwaltungskommission Direktor für Erziehung, dann unter Johannes Hoffmann Kultusminister. Wegen seines guten Verhältnisses zu den Deutschen wird Bastide von seinen französischen Kollegen „Kollabo“ genannt, Kollaborateur.

In der Freizeit musiziert man zusammen, aber Bastide betreibt auch zwei Projekte: Er wird musikalischer Leiter bei Radio Saarbrücken und baut ein Rundfunkorchester auf, und er initiiert die Gründung einer Musikhochschule. Er glaubt: „Das Saarland würde so lange nicht existieren, bis wir sein Orchester nicht wieder aufgebaut hätten.“ Dabei macht er sich keine Illusionen: „Das Orchester sollte aus dem Boden gestampft werden, um die von Radio Saarbrücken ausgestrahlten Nachrichten zu begleiten. Je höher wir die Kultur stellten, um so mehr und um so gläubiger würden unsere Nachrichten gehört werden.“

Als Dozenten an der Musikhochschule darf er keine politisch vorbelasteten Musiker engagieren, aber in einem wahren Husarenstück gelingt es ihn, den bedeutenden Pianisten Walter Gieseking von Wiesbaden aus über Paris ins Saarland einzuschleusen.

„Gleichzeitig entdeckte ich in Saarbrücken die wahre Liebe, die einzige, die erste, die einzige eines ganzen Lebens, wie man weiß.“ Es ist eine junge Schauspielerin namens Bauer, die aus Saarbrücken stammt und hierher zurückgekommen ist, um für den Rundfunk zu arbeiten. Er wohnt in der Spichererbergstraße, sie in der Scheidterstraße. Sie werden ein Paar, er gibt ihr den Namen Lionne, der Erzähler nennt sie „meine erste Frau“. Später macht er sich immer wieder auf die Suche nach ihr, aber er findet sie nicht.

Hochzeitsmesse und Pausenzeichen

Für Radio Saarbrücken komponiert der musikalische junge Mann das Pausenzeichen. Er verwendet Wochen darauf, etwas zu finden, „was zugleich Bergarbeiter- und Kohlenlied, Hoffnungslied, Frankreich und Sehnsucht nach Deutschland war, was zu vergessen ich mich hütete“.

Viel mehr als die Sekunden des Pausenzeichens bedeutet ihm die Aufführung eines Auszugs aus seiner Hochzeitsmesse unter Anwesenheit von General Koenig, Oberkommandierender Frankreichs in Deutschland, im Mai 1946 in der Saarbrücker Christkönigkirche.

Eine sinnvolle Aufgabe, erste Erfolge, Freunde, die große Liebe: „Ich habe nie wieder ein solches Glück gekannt wie mit zwanzig Jahren in Saarbrücken.“ Und er identifiziert sich mit dem vom Krieg mitgenommenen Land: „Mit zwanzig Jahren weiß ich nichts Genaues und Sicheres über mich, aber ich bin Saarländer.“

Aber seine Zeit läuft ab. „Radio Saarbrücken lief von allein. Auch das Konservatorium würde eines Tages ohne mich laufen.“ Außerdem ist seine Geliebte schwanger, er will sie nicht heiraten, es kommt zu einer pikanterweise vom Superkatholiken Straus vermittelten Abtreibung, das Paar entfremdet sich, sie nimmt ein Theaterengagement in einer anderen Stadt an, auch er verlässt Saarbrücken noch 1946.

In den folgenden Jahrzehnten kommt Bastide gelegentlich wieder nach Saarbrücken und stellt enttäusch fest: „Heute herrscht in Saarbrücken – wie in aller Welt – tagsüber das Geschäft und abends der Porno.“

Bastide hat den Roman aus großem zeitlichem Abstand zu den geschilderten Ereignissen geschrieben, nämlich zwischen 1973 und 1975. Es dauerte noch einmal drei Jahrzehnte, bis, auf eine saarländische Initiative hin, die deutsche Übersetzung erschien. Diese Übersetzung, 2006 bei Gollenstein herausgekommen, hat ihre eigene Geschichte, die Publikation hatte einen Vorlauf von einigen Jahren. Eugen Helmlé hatte sich dieser Arbeit angenommen. Er starb im November 2000, ohne sie vollendet zu haben. Daraufhin hat Alfred Diwersy es übernommen, Helmlés Text zu überarbeiten und den Rest zu übersetzen.

Der andere Saar-Roman

Weit weniger Beachtung als die „Wandererfantasie“ findet ein anderer Roman von Bastide, der die gleiche Epoche behandelt. „La Troisième Personne“ (Die dritte Person) schrieb er in Biarritz, seinem Heimatort, zwischen Dezember 46 und März 47, also unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Saarbrücken. Der Roman wurde nicht ins Deutsche übersetzt, und der Autor hat ihn als Jugendwerk abgetan. Er ist in der Tat literarisch weniger raffiniert, die Sicht ist noch nicht so abgeklärt wie in dem dreißig Jahre später geschriebenen Roman.

„La Troisième Personne“ handelt vom Saar-Erlebnis eines für kulturelle Propaganda zuständigen jungen französischen Besatzungsoffiziers in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg – wie die „Wandererfantasie“, nur dass der Protagonist in dem früheren Werk nicht der Ich-Erzähler ist, sondern ein gewisser Francis Valognes, von dem in der dritten Person erzählt wird. Auch er wohnt in der Spichererbergstraße, auch er ist getrieben von der Liebe zur Musik; auch hier gibt es die über die Musik vermittelte Freundschaft mit Saarländern, die Zusammenkünfte bei wohlhabenden und gebildeten Menschen im Weinbergweg, das Hinwegsehen über die Nazi-Vergangenheit begabter Musiker, die Frau (im späteren Roman: die Verlobte) in der Heimat, das Verhältnis mit einer Schauspielerin in Saarbrücken, die Trennung von ihr, den frühen Abbruch der Tätigkeit an der Saar.

Einiges an diesem Roman dürfte in seinem Erscheinungsjahr 1948 in Frankreich als Provokation, als Tabuverletzung empfunden worden sein. Etwa die Formulierung vom „ehrenhaften Schmerz“ der Deutschen, den Volognes dem „zügellosen Luxus“ des Pariser Lebens vorzieht, seine „grenzenlose Abneigung gegenüber seinen Landsleuten“ oder die Rede von der „Großartigkeit der deutschen Rasse“ („la grandeur de la race allemande“).

Insgesamt ist dieser Roman eher eine Coming-of-Age-Story, das Psychogramm eines jungen Mannes, der sich ins „saarländische Abenteuer“ („l’Aventure sarroise“) stürzt, weil er den Festlegungen eines bürgerlichen Lebens entgehen will, und der am Ende um einige Erfahrungen reicher ist, aber immer noch nicht weiß, ob jene titelgebende dritte Person, nach der er sucht, das Kind ist, das seine Frau bekommt, die verlorene Geliebte Esther oder etwas in ihm selber.

Im November 1945 ist Valognes in Saarbrücken angekommen, noch vor Ende des Winters weiß er, dass er nicht mehr lange bleiben wird. Zu diesem Zeitpunkt hat er bereits die Illusion verloren, durch Maßnahmen der Besatzer an der Saar einen Wandel einleiten zu können, den erst die Zeit bewirken wird. Auffallend ist dabei, dass Valognes all das nicht zugeschrieben wird, was in der „Wandererfantasie“ als Leistungen des jungen Besatzungsoffiziers dargestellt wird: Weder von der Schaffung eines Rundfunkfunkorchesters, noch von der Komposition des Pausenzeichens oder der Aufführung einer seiner Kompositionen noch von der Initiative zur Gründung einer Musikhochschule ist hier jemals die Rede. Im Mittelpunkt steht die Vorbereitung und Durchführung eines Konzerts in der Saarbrücker Wartburg, das von einem als politisch belastet geltenden Dirigenten geleitet wird, und die ursprünglich nicht einmal von ihm stammende Idee einer saarländisch-französischen Kulturgesellschaft. (RP)