Michael Wäser

Porträfotogeb. 3. Nov. 1964 in Saarlouis, lebt in Berlin

Michael Wäser ist im Saarland aufgewachsen und lebt heute in Berlin, Prenzlauer Berg. Nach dem Ausstieg aus dem Theaterberuf ist er als vielseitiger Autor tätig, schreibt unter anderem Romane. Er ist vermutlich der einzige Saarländer, der ein Buch geschrieben hat, das in der DDR spielt. Wäsers Eltern fliehen 1961, kurz vor dem Mauerbau, mit den älteren Geschwistern aus der DDR und landen im Saarland. Drei Jahre danach kommt er zur Welt, wächst auf in Bubach-Calmesweiler (seit der Gebietsreform 1974 Ortsteil von Eppelborn).

1986 verlässt er nach Abitur in Lebach und Zivildienst in Elversberg das Saarland, um an der Essener Folkwang-Hochschule Schauspiel zu studieren. Arbeitet über zehn Jahre an verschiedenen deutschen Staatstheatern. 1999 steigt er aus dem Theaterberuf aus.

Michael Wäser widmet sich nun vornehmlich der Entwicklung und Ausarbeitung von Drehbüchern, zieht von Karlsruhe nach Berlin. Bei der Script-Development-Firma cyclops’ eye entwickelt er zusammen mit wechselnden Teams und Partnern zahlreiche Ideen und Scripts für Kino-, TV-Film- und Serienprojekte im Auftrag von Produktionsfirmen in ganz Deutschland. Es folgen Scripts für Animationsprojekte, Ghostwriter-/Koautortätigkeiten für Autobiografien (Willi Berger, Francis Béboux) und Biografien (Paula Roth). Für Alice Miller erstellt er Texte und Übersetzungen für ihre Website und betreut mehrere Jahre ein Internetforum für erwachsene Opfer von Misshandlung in der Kindheit. 2007 gründet er den „Geschichtenladen“ am Berliner Kollwitzplatz, der bis Ende 2009 besteht. Hier konnte man keine fertigen Bücher kaufen, sondern individuelle Geschichten in Auftrag geben, zum Beispiel mit den Namen seiner Kinder oder seines besten Freundes, den man vielleicht mit einem kurzen Krimi zum Geburtstagüberraschen wollte.

Das Grundschüler-edutainment-Portal “multiverso”, für das Wäser einige Scripts zu Astronomie und Physik schreibt, geht 2011 online, wird 2012 für den GrimmeOnline Award nominiert und erhält zahlreiche Preise. 2011 startet er seinen Blog „Deutsch als Fremdsprache“.

2011 erscheint sein erster Roman, „Familie Fisch macht Urlaub“, dem ein Drehbuch zugrunde liegt. Der Stoff ist zum großen Teil der eigenen
Familiengeschichte entnommen, der Flucht der Eltern aus der DDR, die Michael Wäser als „Familienlegende“ seit seiner Kindheit präsent ist. Als Student, noch vor der Wende, hat er sie ausführlich recherchiert (Interviews mit beteiligten Familienmitgliedern auch aus der DDR, Literatur und Recherche zum Mauerbau in Bibliotheken und Archiven). Auf dieser Basis entsteht später das Drehbuch, welches Kai Wiesinger um die Jahrtausendwende mit seiner frisch gegründeten Filmproduktionsfirma realisieren will. Da über mehrere Jahre keine ausreichende Finanzierung zustande kommt, liegt der Stoff bis zum Roman-Angebot des Münchner Buchbäcker-Verlags brach. Nachdem dieser Verlag vom Markt verschwunden ist, legt Wäsers neuer Verlag Dielmann in Frankfurt am Main den Roman noch einmal auf.

Der Inhalt von „Familie Fisch macht Urlaub“: Die Familie des Schulhausmeisters Fisch aus Erfurt hält innere Distanz zum kommunistischen System, ist aber im engeren Sinn unpolitisch. Und so löst ein rein privates Ereignis die Idee zur Republikflucht aus: Die ungeliebte, herrische Oma Lisa will zu ihrem Sohn ins Haus ziehen, das für die kinderreiche Familie ohnehin schon zu eng ist. Die Geschichte der Fluchtvorbereitung ist voll von Rückschlägen und Gefahren, sie bleibt spannend bis zum Schluss. Als alles überstanden ist, hat die Familie die Wahlzwischen drei westdeutschen Bundesländern – und entscheidet sich fürs Saarland. Aber bevor sie dort ankommt, ist der Roman zu Ende. Es ist kein politischer Roman, er hat komödiantische Züge, operiert mit gewollten Unwahrscheinlichkeiten, ist in einfacher Sprache geschrieben und liest sich streckenweise wie ein Buch für Jugendliche.

Auch der „stille Salvatore“ aus Wäsers zweitem Roman ist ein unpolitischer Mensch, der aber wider Willen zu einer politischen Figur wird. Der erste Satz von „Wie der stille Salvatore eine Rede hielt“ ist spektakulär: „Als der Pottwal neben ihm explodierte, wechselte Salvatore Krig auf seinem Motorroller gerade vom zweiten in den dritten Gang.“ Hintergrund der Handlung ist der Bürgerkrieg in einem fiktiven, autoritär regierten Staat namens Bovnik. Aber es ist ein Roman ohne Schärfen, voller absurder, geradezu surrealer Elemente und doch ein Plädoyer für Frieden und Menschlichkeit.

Wäsers dritter Roman, „In uns ist Licht“, ist ein komplexeres literarisches Projekt. Hier hat er die Geschichte einer Recherche aus unseren Tagen mit einer sich nach und nach enthüllenden Kriminalgeschichte aus der Zeit um 1830 kombiniert. Auf der einen Ebene agiert der Ich-Erzähler, ein Flüchtling, gemeinsam mit einem deutschen Rentnerehepaar. Auf der historischen Ebene geht es, dargestellt anhand eines Briefwechsels, um einen auf so genannte Lithophanien spezialisierten Porzellanmacher aus Sèvres und seine adelige Geliebte. Die Story ist spannend aufbereitet, gleichzeitig aber sehr anspruchsvoll konstruiert mit wiederkehrenden Motiven, die Beziehungen aufscheinen lassen, etwa zwischen der Durchsichtigkeit der Lithophanien, dem Feuer im Brennofen und der Suche nach Wahrheit.

2020 zeigt Michael Wäser sich von einer neuen Seite: als Lyriker. „Am Neuen See“ ist eine poetische Begegnung mit der Lyrikerin Inka Bach. Ein Jahr lang haben sie sich einmal im Monat am Neuen See im Berliner Tiergarten getroffen und danach über ihre Begegnung jeweils ein Gedicht geschrieben.

In seinem 2021 erschienenen Roman „Das Wunder von Runxendorf“ verortet Wäser ein alptraumartiges Gesellschaftsbild im Saarland. Buchbach ist der fiktive Name des Dorfes, in dem die Handlung spielt, was sicher nicht zufällig an Wäsers ehemaligen Wohnort Bubach erinnert. Auch wenn saarländische Umgangssprache einfließt – dies ist wahrlich kein anheimelnder Heimatroman. Im Mittelpunkt steht Gerald, ein Heranwachsender, der es in keiner Schule, auf keiner Lehrstelle ausgehalten hat und der bis dahin immer mal wieder als Kleinkrimineller aufgefallen ist. Das Milieu in der Siedlung ist entsprechend. Der Vater verprügelt den Jungen brutal, er missbraucht die Tochter, die Mutter ist depressiv. Der eigentliche Horror entfaltet sich während der Fußball-WM 1974 im Partykeller und in einem Bunker im Wald. Der Autor beschreibt die unvorstellbaren Greueltaten, die hier an jungen Mädchen verübt werden, nie direkt, nur ihre Vorbereitungen und die Situation danach. In diesem Roman ist alles düster, die Landschaft wie die Charaktere, es gibt keinen Lichtblick, keine positive Gestalt. Wie bei Salingers berühmtem „Fänger im Roggen“ oder der „Blechtrommel“ von Grass gibt der Roman sich aus als Aufzeichnungen des Insassen einer psychiatrischen Heilanstalt, bei Wäser wird Merzig erwähnt. Darauf bezieht sich auch der letzte Satz des Buches: „Aber Sie wissen ja, es ist genauso wie mit dem Saarland: Wenn du erst mal da bist, bleibst du auch da.“ (RP)