Kleinblittersdorf

 

Kleinblittersdorf mit seinen Ortsteilen liegt im Bogen zwischen Saar und Bliesmündung an der deutsch-französischen Grenze. Gegenüber auf dem anderen Ufer der Saar liegt das lothringische Grosbliederstroff (die Deutschen sagen: Großblittersdorf). Wie der Name es andeutet, waren sie einst Teile eines einzigen, den Fluss überspannenden Ortes, der seinen Anfang auf der linken Saar-Seite, also im heutigen Grosbliederstroff, genommen hatte. Er hieß im frühen Mittelalter „Blit(t)aria villa“, im 13. Jahrhundert Bliederstroff bzw. Bliderstorff und gehörte dem Abt Fulrad von St. Denis, dem der Ort die erste urkundliche Erwähnung aus dem Jahr 777 verdankt. Die Namenszusätze „Groß“ und „Klein“ gibt es erst seit dem Ende des 16. Jahrhunderts; sie bezogen sich auf die Einwohnerzahl, deren Verhältnis sich heute allerdings umgekehrt hat (Kleinblittersdorf: 11.000, Grosbliederstroff 3.000). 1968 wurde ein Partnerschaftsvertrag zwischen den beiden Gemeinden geschlossen, 2002 feierten sie gemeinsam ihr 1225jähriges Jubiläum.

Politisch gehörten die beiden Gemeinden bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Herzogtum Lothringen und fielen 1766 nach dem Tod von Stanislaus Leszczinsky, dem letzten Herzog von Lothringen, an Frankreich. Kleinblittersdorf kam dann durch Tausch 1781 an die Herrschaft der Grafen von der Leyen und ging 1829 in preußischen Besitz über. Grosbliederstroff blieb währenddessen bei Frankreich, kam aber noch zweimal vorübergehend zu Deutschland, nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870 bis 1918 als Teil des Reichslands Elsass-Lothringen, zwischen 1940 und 1944 als Teil des Gaus Westmark.

Seit der Gebietsreform von 1974 setzt Kleinblittersdorf sich aus fünf Ortsteilen zusammen: Neben dem Hauptort und Verwaltungssitz Kleinblittersdorf sind das Auersmacher, Bliesransbach, Richlingen-Hanweiler und Sitterswald.
Kleinblittersdorf als Ganzes ist ein Unterzentrum an der Oberen Saar („Obere Saar“ nicht nach Einteilung des Flusslaufes, sondern im Sprachgebrauch für den Abschnitt von der Bliesmündung bis zur Mündung des Scheidterbaches), es ist Teil des Biosphärenreservats Bliesgau und Mitglied im grenzüberschreitenden Eurodistrict Saar-Moselle.
Wahrzeichen von Kleinblittersdorf waren lange Zeit die Monumente der Industrialisierung, die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte: die Schornsteine der Kalkwerke, die hohen Gebäude der Saarmühle, die Ziegelfabrik am Saarufer mit ihrer Drahtseilbahn über die Saar nach Grosbliederstroff. Heute steht die Gemeinde für Rilchinger Mineralwasser, die Saartherme in Rilchingen-Hanweiler und die Freundschaftsbrücke nach Grosbliederstroff. Außerdem gibt es hier als Dependance der Saarland-Heimstätten GmbH (SHG) eine Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Unübersehbar ist die mächtige katholische Pfarrkirche St. Agatha in der St. Agatha-Straße. Die neuromanische Basilika, 1906-1908 erbaut, hat ein der gleichen Patronin gewidmetes Bauwerk ersetzt, eine schlichte barocke Saalkirche, die dann profaniert wurde und nach wechselnden Zweckbestimmungen heute unter dem Namen „Dom“ ein Hotel beherbergt (Elsässer Straße 51).

Aus historischer Sicht bemerkenswert sind ferner die Kuchlinger Kapelle in Auersmacher samt Wegkreuz, das alte Rathaus im Ortsteil Kleinblittersdorf, der Mariannenturm in Rilchingen-Hanweiler, der Ritthof in Bliesransbach.
Wegen der Lage des Ortes am Grenzfluss Saar sind die Kleinblittersdorfer Brücken über den Fluss von besonderer Bedeutung. Vor Errichtung der ersten Brücke gelangte man zwischen Grosbliederstroff und Kleinblittersdorf per Furt oder Fähre hinüber und herüber. Nach dem Zweiten Weltkrieg verband noch einmal für etliche Jahre nur eine kleine Personenfähre die Schwesterorte. Legendär ist die Fährfrau Anne Bähr, die bis 1964 den Betrieb aufrechterhielt. Sie soll täglich mehrere Hundert Personen transportiert haben: Saarländer, die zum Kraftwerk in Grosbliederstroff oder zur Grube wollten, französische Arbeiter, die zur Tonfabrik auf der deutschen Seite oder zur Halberger Hütte unterwegs waren, aber auch Kauflustige oder Franzosen, die das Kino von Kleinblittersdorf besuchen wollten (siehe das Porträt von Anne Bähr in der „Saarbrücker Zeitung“ vom 13.12.2008).

Die Eisenbahnbrücke, die so genannte Preußische Brücke, verdankt sich einem preußisch-französischen Abkommen kurz vor Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges. Sie führt von Rilchingen-Hanweiler aus über die Saar nach Saargemünd und enthält auch einen Steg für Fußgänger. Im Mai 1870 fuhr zum ersten Mal eine Lokomotive über diese Brücke. Nach dem Krieg, als Elsass und Lothringen Reichsland geworden waren, erlebte die Bahnstrecke Saarbrücken–Saargemünd einen großen Aufschwung. Während die Preußische Brücke im Ersten Weltkrieg unversehrt blieb, wurde sie gleich zu Beginn des Zweiten Weltkrieges durch eine Sprengladung so beschädigt, dass sie nicht mehr benutzbar war. 1955 wurde sie samt Fußgängersteg wieder aufgebaut. Heute wird die Strecke von der Saarbahn für den Nahverkehr zwischen Saarbrücken und Saargemünd genutzt.

Dem grenzüberschreitenden Autoverkehr dient die 1983 fertiggestellte Abt-Fulrad-Brücke. Sie wurde seinerzeit noch als Zollstation mit Lkw-Abfertigung für den grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr eingerichtet, die aber schon mit Inkrafttreten des Schengener Abkommens ihre Funktion verlor. An der ehemaligen Grenzabfertigungsanlage befindet sich eine 1987 aufgestellte Skulptur des saarländischen Künstlers Wolfram Huschens mit dem Titel „Grenze zwischen Deutschland und Frankreich“.

Von hoher symbolischer Bedeutung ist die Freundschaftsbrücke (Pont de l’amitié). Der 1964 eröffnete Vorgängerbau der Fußgängerbrücke zwischen Grosbliederstroff und Kleinblitterdorf war zusammengebaut worden aus der Trägerkonstruktion des so genannten Kummerstegs in Saarbrücken, der durch den Bau der Wilhelm-Heinrich-Brücke seine Funktion verloren hatte. Da die Brücke in Kleinblittersdorf nicht genügend unterfahrbare Höhe für die neue Umgehungsstraße besaß, wurde diese Konstruktion 1995 durch einen Neubau ersetzt, den Europäische Union, Saarländische Landesregierung, die Region Lorraine, die Stadt Sarreguemines und die Gemeinde Kleinblittersdorf im Rahmen der „Entwicklung der grenzüberschreitenden Verhältnisse und des Fremdenverkehrs“ ermöglicht haben. Für die Gemeinde ist die Freundschaftsbrücke das „Wahrzeichen der Neuzeit für Kleinblittersdorf“.

An die Kleinblittersdorfer Tonindustrie erinnert heute nur noch der Name „Alte Ziegelei“ des neuen Gewebegebiets. 1871 wurde die „Thonwaarenfabrik Brach & Weichelt“ gegründet, die später Saar-Tonindustrie hieß. Die Fabrik lag unmittelbar an der Saar, die Fertigprodukte konnten von hier aus verschifft werden. Wurden zunächst nur Ziegel hergestellt, so kamen bald Tonplatten dazu, die als Trottoirsteine, Einfahrtsteine und Flurplatten verwendet werden konnten. Anfang der 1920er Jahre wurde eine Drahtseilbahn über die Saar gebaut, um den Rohstoff aus der firmeneigenen Tongrube in Grosbliederstroff anzuliefern. 1977 fand der letzte Eigentümerwechsel statt, doch das Unternehmen konnte auch durch weitere Investitionen nicht dauerhaft gerettet werden, es wurde Anfang der Nullerjahre geschlossen. Als Gründe für den Niedergang werden genannt: der Einbruch des Baustoffmarktes Ende der 90er Jahre, das Auslaufen der Tonvorkommen in Grosbliederstroff und immer neue Materialien auf dem Bausektor als Konkurrenten der Tonprodukte. Einziger baulicher Überrest der ehemaligen Fabrik ist Schloss Falkenhorst, ehemaliges Verwaltungsgebäude und Direktorenvilla, angeblich ein Geschenk Bismarcks an die Saarländer (erbaut um 1875, Erweiterung 1907 in klassizierenden Formen, Ausstattung Jugendstil). 2016/17 wird in der Gemeinde ein heftiger Streit ausgetragen um die geplante Nutzung der Villa als Bordell.

Kalk, ein für den Verhüttungsprozess wichtiger Stoff, wurde in Kleinblittersdorf sowohl über- wie untertage abgebaut. Abnehmer war vor allem die Völklinger Hütte, die das Material zunächst per Schiff, seit den 1960er Jahren mit der Bahn nach Völklingen transportieren ließ.
1898 wurden die Kalkwerke Kleinblittersdorf Philippi und Burger GmbH gegründet. Für den Kalkofen und den Steinbruch wurde gegen den Widerstand einer Bürgergruppe ein Stück Wald geopfert. Als 1962 in Völklingen ein moderner Kalkofen in Betrieb genommen wurde, war die Weiterführung des Kalkwerkes Kleinblittersdorf nicht mehr sinnvoll, die Anlage wurde geschlossen. 1963 wurden die letzten sichtbaren Zeichen, der Kalkofen mit Nebengebäuden und der 75 Meter hohe Schornstein, abgerissen. Das einstige Direktorengebäude ist heute die Villa Eicker, Sitz der Eicker Gips- und Putzarbeiten GmbH (Saarbrücker Straße 96). Auf einem Großteil des Bereiches der Kalksteinbrüche und des Kalkwerks wurde eine Sport- und Freizeitanlage angelegt.

Eine wichtige Publikation für Kleinblittersdorf ist die lokalhistorische Zeitschrift „Die Eul‘“, herausgegeben vom Historischen Verein Saar-Blies und der Geschichtswerkstatt der VHS Kleinblittersdorf (Redaktion: Klaus Brettar). Sie erscheint seit 2007, zunächst zweimal, seit 2011 einmal im Jahr. Dieser Beitrag verdankt ihr zahlreiche Informationen.
Kleinblittersdorf verfügt über eine Öffentliche Bücherei, die an drei Tagen in der Woche jeweils für zwei Stunden geöffnet ist; gemeinsame Träger sind die Kirchen- und die Zivilgemeinde.