Freisen

 

Die Gemeinde Freisen liegt mit ihren acht Dörfern im nordöstlichsten Zipfel des Saarlandes, im Quellbereich von Blies, Nahe und Glan: “eine anmutige, weitschwingende Hügellandschaft”. Die Eichenlaubstraße endet hier.

Vorab ein Rätsel:
„Es ist ein Ding, rund, weiß und klein,/schließt wunderbares Leben ein./Ein Zeichen füg’ am Ende zu,/so wird es fest und kalt im Nu./Nun setze auch eins vorne an,/ein Nahrungsmittel wird es dann./Am End noch zweie beigesellt:/Ja, wer das tut, kommt durch die Welt./Nun gib dem Wort zum guten Schluss/den Kopf, den es ja haben muss,/so ist’s ein Westrichdorf – gar schön/gebettet zwischen grünen Höhn“
(W. Theisinger, 1980).

Die Senke, in der Freisen, umrandet von Bergen aus Vulkangestein “schön gebettet” liegt, quert seit Ende der 1970er Jahre auf 4,57 km die A62 (Landstuhl-Trier). Dazu Felicitas Frischmuth nach einem Ausflug mit Leo Kornbrust zur Zeit des Autobahnbaus. ZITAT

Fresenacum

Freisener Pferdchen

Das 1235 urkundlich erstmals genannte, zum Herzogtum Lothringen gehörige Fresenacum kann auf eine lange Vergangenheit zurückblicken. Allein der Name ist keltisch-römischen Ursprungs. Nur fünf Wegestunden von Tholey entfernt, war Freisen mit den an der Fernstraße von Metz nach Mainz gelegenen Orten Schwarzerden und Oberkirchen ein gut organisiertes Machtzentrum in vor- und frühgeschichtlicher Zeit. So kam die römische Garnisonstadt Schwarzerden zu einem Mithräum. (Der persische Lichtgott Mithras war seiner wehrhaften Züge wegen zum Lieblingsgott der römischen Legionäre geworden. Das Götterbild, ist, stark verwittert, erhalten.)

Grabbeigabe eines im Jahr 1849 in Freisen freigelegten keltischen Fürstengrabes aus dem 6. - 5. JH vor Christus. Das Original befindet sich im Landesmuseum in Trier. Aufgestellt anlässlich der 750 Jahrfeier von Freisen im Jahr 1985."

Hinweistafel Freisener Pferdchen

Deshalb auch hat man in Freisen Ecke Bahnhof-/Schulstraße zur 750-Jahrfeier des Ortes ein Bronzepferd aufgestellt. Im Maßstab 12:1 erinnert es an das “echte”, 10,8 auf 9,25 cm kleine Bronzepferdchen, der einzig verbliebenen Grabbeigabe eines pompös ausgestatteten Fürstengrabes aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. Es wurde 1849 im ehemaligen Gemeindewald “Büchelchen” geborgen und befindet sich im Rheinischen Landesmuseum in Trier.

Ein Denkmal für Fernando Pessoa

Brunnen vor dem Rathaus

Dem “bedeutendsten modernen Dichter Portugals” hat Freisen am Rathaus (Schulstraße 60) ein Brunnendenkmal gesetzt. Was die Gemeinde mit Fernando Pessoa aus Lissabon verbindet, verdankt sich der 1958 in Freisen geborenen Malerin und Bildhauerin Isabelle Federkeil. Ihre Studien und Ausstellungen hatten sie nach Lissabon gebracht, wo sie den 1935 verstorbenen Dichter in seinen Büchern kennen und schätzen lernte. Ihr 1900 aus rotem Sandstein in die Pflasterung des Platzes eingelassener Fernando-Pessoa-Brunnen hat an seinem Rand ein Phantasie-Portät, umgeben von Büchern, die ins Wasser plätschern. Auf einem dieser Bücher ist zu lesen: ICH BIN/SO GROSS/WIE DAS/WAS ICH/SEHE. Es ist ein Zitat aus den tagebuchartigen Aufzeichnungen Pessaos vom 24. 3. 1930 aus dem “Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares“:

„Jedesmal, wenn ich diesen Satz mit der gesammelten Aufmerksamkeit meiner Nerven denke, scheint er mir mehr dazu bestimmt, das Weltall mit all seinen Sternen wieder zu errichten. “Ich bin so groß wie das, was ich sehe!” Welch große geistige Besitzergreifung vom Brunnen der tiefen Gefühle bis hin zu den hohen Sternen, die sich in ihm spiegeln und in gewisser Weise dort sind!“ (Fischer Taschenbuch 17218, Seite 55).

Der Schnee der Jahre

So der Titel eines Romans von Simon Werle, geboren 1957, eine Familiengeschichte. Sie spielt von Mitte der 1930er Jahre bis in die Nachkriegszeit hinein. “Zum ersten Mal habe ich die Absicht, einen solchen Roman zu schreiben, im Alter von zehn Jahren geäußert” (in einem Brief vom August 2017).

Hauptschauplatz des Romans ist das Dorf Hainitz. Dass damit Freisen gemeint ist, der Geburtsort des Autors, dafür spricht gleich der erste Satz:„Als das Geläute aus dem Kirchturm verhallt, sinkt das Dorf Hainitz, in seinen Talkessel geschmiegt, in die morgendliche Sonntagsruhe zurück.“ Die frühere Wirtschaft “Zum Goldenen Pflug”, die sich „zum Vereinslokal der SA auch aus den umliegenden Dörfern entwickelt hat“, ist im Heimatbuch Freisen (von 1973) abgebildet (wohl weil dort Polenkönig Stanislaus Leszcynski auf seiner Flucht nach Frankreich 1734 übernachtet haben soll).

Für den Autor gab es, wie er selbst schreibt, “Relikte aus der damaligen, beschriebenen Zeit so wenig, dass genau dieser totale Mangel ein Hauptantrieb war, mir in literarischer Form innere Anhaltspunkte zu konstruieren.” Dem Anspruch des Dorfes, Mittelpunkt der Welt zu sein, kann der Leser durchaus folgen: „alle Menschen an allen Orten, in allen Ländern diesseits und jenseits der Grenzen seien sich im Grunde gleich, und was es an wirklich Wichtigem kennenzulernen und zu erfahren gelte, das biete ein kleines Dorf genausogut wie zum Beispiel das große Berlin? Der Unterschied bei den hohen Herren wie bei den hohen Gebäuden, sei bloß die Fassade.“

Hauptdarsteller des Romans ist Edward Callzig, einziger Sohn des früheren Bergmanns und jetzigen Steinhauers “Schlubb” und seiner Frau “Kätt“, der “Straßenmeisterstochter” aus besserem Hause. Es ist Edwards Leben, das wie ein roter Faden durch das Buch führt und die Ereignisse bündelt.

Auch die “Biographie” ist weitgehend Fiktion: “weil es keine Dokumente gab, und weil meine Phantasie eigene Wege ging.”

Die Phantasie kann auch die Realität surreal, die Wirklichkeit transzendent werden lassen. Das zeigt sich gleich zu Beginn des Romans bei einem Besuch des vierzehnjährigen Edwards bei seiner Großmutter Grus, einer Tagelöhnerin in “Höhrand“, tief im Innern des Hochwalds. Es wird eine Fahrt ans Ende der Welt. ZITAT

Was die Fakten angeht, sind sie bis ins Detail hinein und aufs Genaueste recherchiert. Ob es sich um Edwards Leben in Köln handelt (wo Edward am Dachstuhls über Sankt Pantaleon arbeitet und, dank seines Mitmieters, Hotelpage im “Esplanade“, die “große Welt” kennerlernt)…, um seine Einberufung zur Wehrmacht im Mai 1940…, seine Rolle als “Ratte” im Krieg…, um das “Hügelland”, das sich den Jagdbombern wie ein “Präsentierteller” öffnet.., oder um das Dorf in der Wohlstandswoge des Aufbaus…

Dabei ist das Faktum nur als Rahmen für menschliche Schicksale wichtig. (Ludwig Harig in seiner Rezension der Süddeutschen Zeitung vom 6. September 2003: Das Besondere an diesem Buch ist die außerordentliche Anteilnahme des Erzählers am Schicksal seiner Figuren.)

Den Titel des Romans hat Simon Werle aus einem Gedicht des Barockdichters Hofmann von Hoffmannswaldau entlehnt. Er zitiert es Seite 301/302.

„Albanie, gebrauche deiner Zeit
Und laß den Liebeslüsten freien Zügel.
Wenn uns der Schnee der Jahre hat beschneit,
So schmeckt kein Kuß, der Liebe wahres Siegel…“

(Alle Zitate entstammen der Ausgabe von Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München Wien 2003)