Bous

 

Ein Ort mit widersprüchlicher Ausstrahlung: Im Dunstkreis zweier Klöster bzw. dessen, was von ihnen noch übrig ist, mit einer vor allem für zu Fuß Gehende nervenaufreibenden Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 51, einem modernen Stahlwerk und einem Stück Saarufer, aus dem noch etwas zu machen wäre.

Und leider ein Ort, um den die Literatur bisher einen Bogen gemacht hat. Warum? Nächste Frage. Bous liegt zwischen Saarlouis, Ensdorf, Schwalbach, Wadgassen, Püttlingen und Völklingen wie eingeklemmt – wie eine Scheibe, die jemand von Schwalbach unten abgeschnitten hat. Es gehört zum moselfränkischen Sprachbereich, während man jenseits der Ortsgrenzen in Püttlingen und Völklingen Rheinfränkisch spricht. Die Gemeinde hat einen eigenen Bahnhof an der Strecke Trier-Saarbrücken. Nachdem Bürger und Bürgerinnen mit ihren Protesten eine Eingemeindung nach Schwalbach 1982 hatten rückgängig machen können, nimmt Bous für sich in Anspruch, „die kleinste selbständige Gemeinde im Saarland“ zu sein. Wo Bous draufsteht, ist seither auch nur Bous drin. Die Gemeinde hat keine anderen Ortsteile, nur sich selbst. Derzeit leben in ihr rund 7000 Menschen.

In keltischer Zeit, also noch vor den Römern, hieß die Siedlung Bouza . Der mehr als 1060 Jahre alte Ort (gerechnet von seiner ersten Erwähnung in einer Urkunde) hat eine spannende Geschichte, in der aber noch vieles ungeklärt geblieben ist. Die Römer haben auf jeden Fall ihre Spuren hinterlassen, wie Funde des 19. Jahrhunderts dokumentierten; man weiß nur nicht genau, wann die Römer kamen und wie lange sie blieben. Von 1489 bis zur Französischen Revolution bzw. zur Vertreibung des Abtes und zur Zerstörung des Klosters 1793 durch französische Revolutionstruppen gehörte das Dorf der Prämonstratenser-Abtei in Wadgassen. Die ehemaligen Wirtschaftsgebäude stehen noch auf der anderen Saarseite; sie beherbergen heute das Zeitungsmuseum.

Bis 1903 verband eine Fähre das Bouser und das Wadgassener Saar-Ufer. Mit der Eisenbahn 1858 und der Gründung des Mannesmann-Röhrenwerkes 1887 erlebte Bous einen Aufschwung, der sich in steigenden Einwohnerzahlen niederschlug. Waren es Mitte des 19. Jahrhunderts nur mehrere Hundert, zählte Bous um 1900 schon mehr als 2000, also fast dreimal so viel Einwohner. Ihren Höchststand erreichte die Einwohnerzahl 1970 mit fast 8000. Durch den Strukturwandel wurde Bous wie alle anderen saarländischen Gemeinden mit Montanindustrie sehr gebeutelt. Das Mannesmann-Röhrenwerk wurde stillgelegt, nur der Elektrostahlbereich blieb bestehen; er wurde 1998 von der Georgsmarienhütte Holding GmbH übernommen. Sie rüstete das Stahlwerk Bous mit einer Stranggießanlage auf zeitgemäßem technischem Stand aus und produziert bis heute Elektrostahl.

Das Feiern haben die Bouser und Bouserinnen in all den Umschwüngen nicht verlernt, wenn auch Events wie das Chausseeefeschd längs der B 51 alljährlich im August inzwischen der Vergangenheit angehört. Seit 2006 erfreut sich die Einwohnerschaft alle zwei Jahre an der Bouser Maisause mit Seifenkisten- und Bobbycar-Rennen. Bous ist auch eine der wenigen Gemeinden im Saarland, die noch ein Kino haben, das Thalia. Auch den riesigen Tanzschuppen in Bahnhofsnähe, der sich seit den 1960er Jahren einen fast legendären Ruf aufgebaut hat, gibt es noch, den Luxemburger Hof.

Das imposante weiße Bauwerk oben auf der Höhe, das den im Auto oder Zug Vorbeifahrenden ins Auge fällt, sollte einmal eine Kultstätte der Nazis mit Heim für die Hitlerjugend werden; fertiggestellt und am 13. November 1949 eingeweiht wurde es jedoch vom Redemptoristenorden als Kloster Heiligenborn. Die dazu gehörende Klosterkirche wurde 1952 eingeweiht. Gestaltet hat sie der im Saarland lebende ungarische Künstler György Lehoczky (1901-1979) und machte sie zum künstlerisch bedeutendsten Bauwerk in Bous. Der Redemptoristenorden gab das Kloster 2009 auf; die Gebäude wurden 2017 versteigert. Heute dienen sie als Alten- und Pflegeheim.

Wann besinnt sich die Literatur auf Bous? Zum Beispiel auf die ZwangsarbeiterInnen im Röhrenwerk während des Zweiten Weltkrieges, die wahrscheinlich Teilstücke für die V 3 oder „Hochdruckpumpe HDP“ produzieren mussten, eine der angeblichen Wunderwaffen Hitlers. Oder auf den angeblichen Saarbrücker Rotlicht-König, der in dem legendären Bouser Tanzlokal vor 50 Jahren einen Mann im Streit halb totschlug und dafür ins Gefängnis ging. Oder auf das Hakenkreuz auf dem Grundstein des geplanten HJ-Heimes, das als Kloster fertiggestellt wurde. Stoff für Autoren gäbe es genug. (IP)